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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wuchsen, die Milchstraße hinunter bis zur Sandstraße, wo der Verkehrslärm durch die Bäume gedämpft wurde.
    Die Geräusche, die aus der Sandstraße kamen, waren gut zu hören, weil es zwischen uns so still war. Auch ohne es laut zu sagen, wussten wir, dass Jeckyll auf seinen kurzen Beinen diesmal besonders schnell losgerannt war.
    Bossie machte sich von uns los. Er sagte, er würde in der Sandstraße suchen. »Alles wird gut«, fügte er hinzu. Er hob die Hände hoch und fing an zu rennen.
    Die Panik hing noch eine Weile wie eine viel zu warme Decke über unseren Schultern.
    »Dem Hund wird doch nichts passiert sein?«, flüsterte Nancy.
    »Nein«, sagten Geesje und ich im Chor.
    Wir zählten alles auf, was nicht passiert war, um sie zu beruhigen. Jeckyll war nicht von einem Fahrrad überfahren worden. Er hatte keinen Fußtritt von irgendeinem Rüpel bekommen, der meinte, der Hund sei ihm im Weg. Er hatte keinen Krampf in den Pfoten bekommen, nichts Vergiftetes gegessen, er hatte sich nicht schrecklich an einer rostigen Blechdose im Rinnstein geschnitten, er hatte nicht plötzlich einen Knoten im Kopf bekommen.
    Trotzdem sahen wir, wie sich Nancy in ihrer hellgrünen Jacke zusammenzog.
    »Ganz ruhig«, sagte ich. »Jeckyll läuft Ihnen immer ein bisschen voraus, fast immer eine halbe Straßenlänge, und noch nie ist etwas passiert. Warum sollte also jetzt etwas passiert sein?«
    »Ja«, sagte Geesje. »Warum sollte also jetzt etwas passiert sein?«
    »Oder?«, sagte ich und meinte das Wort eigentlich als freundliches Geräusch.
    Nancy gab keine Antwort.
    Sie wartete, genau wie wir.
    Wir warteten lange und lauschten dem Flimmern der Hitze.
    Unbeweglich schauten wir Richtung Sandstraße. Es war nicht viel los, und die Autos fuhren nicht schnell, aber jedes Auto fuhr durch unseren Kopf und, was Nancy betraf, auch über sie hinweg.
    Sie dachte an ihren Jeckyll, und sie fühlte mit ihm.
    Ab und zu meinten wir sie schluchzen zu hören, aber es war nur ein nervöses Hüsteln, das sie von sich gab.
    Bossie blieb in unserer Geschichte sehr lange fort.
    Wir stellten uns vor, wie er um die Ecke kommen würde, einen toten Hund in den Armen. Wir stellten uns vor, wie wir reagieren würden. Würden wir uns übergeben müssen, weil wir die Fassung verloren? Würde Nancy sich weinend auf den Boden fallen lassen, und würden wir Hilfe holen müssen, weil sie untröstlich war?
    Als Bossie endlich erschien, konnten wir nicht glauben, dass seine Arme leer waren.
    Er rief: »Nirgends!«
    Die Bedeutung dieses Wortes drang nur langsam zu uns durch. Geesje und ich wechselten einen Blick und drehten uns zu Nancy um.
    »Dann muss er irgendwo hier in der Nähe sein«, sagte Geesje.
    Nancy blinzelte ein paarmal und leckte sich über die Lippen. Sie griff sich mit der Hand ans Kinn. Sie sagte: »Ich hatte ihn doch bei mir, oder?«
    »Natürlich hatten Sie ihn bei sich«, sagten Geesje und ich. »Wir können Sie uns gar nicht vorstellen ohne Hund.« Wir grinsten kurz und waren gleich wieder still.
    Geesje sank ein bisschen zusammen und drehte sich um. Sie sagte zu Bossie, dass sie unsere Geschichte satt hatte.
    »Satt?«, sagte Bossie. »Wir waren doch gerade richtig gut in Schwung. Ich komme mit Neuigkeiten aus der Sandstraße.«
    »Hallo?«, sagte Geesje. »Du bist ohne Hund aus der Sandstraße gekommen.«

DER JUNGE
    Es dauerte ein bisschen, bis ich kapierte, dass ich noch immer auf der Mauer saß, neben Geesje, und dass Bossie hinter uns auf dem Lagerdach stand. Ich musste mich beherrschen, um nicht über den Mauerrand zu schauen, ob wir nicht doch dort unten auf dem Bürgersteig standen, neben Nancy in ihrer grünen Jacke.
    Geesje stieß die Luft aus den Lungen. Aus ihren Ohren kam Dampf. Sie sagte: »Tu doch nicht so, als könntest du das Schicksal beeinflussen, Bossie. Nancy und Jeckyll sind lebende Wesen. Wenn es um Menschen und Tiere ginge, die wir uns selbst ausgedacht haben, ja, dann könnte ich darüber lachen, aber Nancy und Jeckyll gibt es wirklich.«
    »Vielleicht schon nicht mehr«, sagte Bossie.
    Geesje hob die Hand. Einen Moment lang dachte ich, sie wolle Bossie das Lachen aus dem Gesicht schlagen.
    »Junge«, rief sie. »Ich hoffe für dich, dass es Nancy ist, die es schon nicht mehr gibt. Dann hast du gewonnen. Dann kann ich einfach weiterlesen, und du Glückspilz bist einen Tag lang der Boss.«
    »Ja«, sagte Bossie. »Ich Glückspilz. Dann bin ich morgen den ganzen Tag lang der Boss.«
    Er erschrak, weil die Glocken
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