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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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Kristallschüsseln oder ihr blödes Obst auf. Die Gäste nahmen brav davon, legten sie auf einen kleinen Teller und aßen aber meistens nicht. Für jeden gab es einen kleinen Teller mit einer Banane, einer Apfelsine, einem Apfel und einer Gurke. Die Gurken in Teheran waren klein, so wie Essiggurken, nicht wie die langen Salatgurken, die ich kannte. Wenn die Leute weg waren, legte meine Großmutter die nicht angerührten Pralinen, Gebäckstücke und das Obst wieder zurück in die Kristallschalen und schimpfte dabei etwas, das ich nicht verstand. Diese Obstvariation auf kleinen Tellern bekam man überall genau so vorgesetzt, egal, wo man war und warum. Und da ich alles, was man vor mich stellte, mittlerweile einfach wortlos ignorierte, schrien die Frauen immer irgendwann: »Dann soll sie doch wenigstens eine Gurke essen!«
    In solchen Momenten wurde ich richtig sauer. Eine Unverschämtheit, so etwas von mir zu verlangen, fand ich. Ich hasste Gurken, genau wie Salat, Spinat, Bohnen und alles, was grün war. Und wie stellten sich diese Leute das vor? Ich sollte einfach eine Gurke essen? Warum? Die streuten ständig Salz auf diese kleinen Gurken und aßen sie einfach. Ich fand das widerlich und nicht normal.
    Die Frauen dachten, ich aß nichts, weil ich diszipliniert war und dünn sein wollte. Und sie dachten, eine Gurke hat keine Kalorien, die könnte ich doch wenigstens essen.

    Maman war sehr geizig, obwohl mein Großvater ziemlich wohlhabend war. Er war Geschäftsmann und importierte Luxusgüter aus Europa, edles Porzellan und feine Strümpfe für Damen und Herren aus Frankreich, hochwertige Frottierwaren aus Deutschland und Kaschmirpullover und -decken aus England. Er hatte sehr viele Stammkunden, und seine Geschäfte liefen gut. Deshalb war er auch sehr stolz darauf, dass er seine drei Söhne nach Europa schicken konnte, wo sie etwas erwarben, was ihm fehlte: Bildung. Ich fragte meinen Großvater Jahre später einmal, warum er meine Tante nicht zum Studieren nach Europa geschickt hatte. Erst blinzelte er und kniff die Augen zusammen, was er oft tat, dann sah er weg und sagte nur: »Weil sie ein Mädchen ist.« Ich verstand in dem Moment nicht genau, wie er das meinte, weil so eine Ungerechtigkeit nicht in meinen Kopf wollte. Dass ein Vater seine Tochter nicht studieren ließ, hatte doch sicher einen anderen Grund, vielleicht wollte sie nicht. Ich klappte dann meinen Mund auf und fragte ihn noch einmal in meinem ranzigen Persisch: »Hat Mahin denn gesagt dass sie nicht möchte? Warum? Vielleicht …«, wollte sie ja gar nicht heiraten, wollte ich sagen, aber da fuhr meine Mutter schnell dazwischen, wedelte mit der Hand, dass ich aufhören sollte, und zischte schnell und sehr böse auf Deutsch: »Hör sofort auf damit!« So konnte ich das Rätsel meiner Tante nie für mich und alle lösen. Aber Maman war dennoch sehr knauserig.

    Ich hatte in dem großen Haus ein eigenes Zimmer, in dem ich aber nur schlief, denn es war mit glänzenden, braunen Möbeln eingerichtet, und in einer großen Vitrine stand jede Menge Zeug aus Glas, Porzellan und Kristall, das in die vielen Vitrinen im Salon und in der Empfangshalle nicht mehr hineingepasst hatte. Ich hatte Angst vor den Vitrinen, weil ich mir vorstellte, wie sie eines Tages, während ich in der Nähe saß, unter der Last ihrer Ladung zusammenbrechen und mich unter Millionen Scherben begraben würden. In derVitrine in meinem Zimmer standen zwei große, bunte Porzellanpapageien, die ich am allerfurchteinflößendsten fand, ich stellte mir vor, wie die beiden einfach losflattern würden, um mir die Augen auszuhacken, weil sie so lange in der Vitrine eingesperrt waren.
    Tagsüber langweilte ich mich ununterbrochen, lief meiner Großmutter und Mutter hinterher, nölte so viel wie möglich und ging allen absichtlich auf die Nerven. Fernsehen konnte ich auch nicht, die persische Synchronisation verstand ich nicht, den englischen Sender auch nicht. Bei fast allem, was ich tun wollte, war ich auf die Hilfe meiner Mutter angewiesen, in der ersten Zeit sogar auf der Toilette. Damals gab es in Teheraner Häusern meistens eine europäische Toilette und ein arabisches Bodenklo. Das Plumpsklo, wie ich es nannte, war ein Loch im Boden aus Porzellan, rechts und links hatte es geriffelte Stellen für die Füße, damit man nicht seitlich wegrutschte, wenn man sich darüber hockte. Zum Glück gab es eine ganz normale Spülung und zusätzlich einen Aluminiumschlauch an der Wand, mit dem man sich
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