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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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nach getaner Arbeit waschen konnte. Klopapier gab es allerdings nicht. Meine Großmutter hatte zwar auch eine ganz normale europäische Toilette, aber die durfte man nicht benutzen, obwohl sie immer sagte, ich könnte ruhig hingehen, aber das lief wieder unter Taarof . Ich musste wie alle das Plumpsklo besuchen. Meine Mutter kam anfangs immer mit und wurde wütend, wenn mein Urinstrahl meine Füße und die Jeans nassspritzte. Sie wurde dann immer gleich sehr sauer und schrie herum:»Schweinerei! Jetzt pass doch einmal auf. Alles ist voller Pisse.«
    Das umgangssprachliche persische Wort für Pisse ist Schaasch, und so musste ich mehrmals am Tag hören: »Schaaschi« und »Schaaschu«, was »vollgepisst« und »Pisser« bedeutet. Badde und Schaaschi, das war ich.
    Abgesehen von der Schaaschi -Situation konnte ich noch nicht einmal allein an die Straßenecke gehen, um Kaugummis zu kaufen oder herauszufinden, was in der Gegend los war. Die Nähe und Abhängigkeit von meinen Eltern war ich nicht gewohnt, in Deutschland hatte mich nie jemand gefragt, was ich machte und wo ich hinging, solange ich bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause war. Aber in ganz Teheran wimmelte es angeblich von Kinderdieben und Sexualtätern, und ich durfte als Kind nicht allein raus und als Mädchen sowieso nicht. Ich saß oft am leeren Pool und las immer wieder dieselben beiden Micky-Maus-Hefte, die ich in der Zeitschriftenabteilung des Kourousch-Kaufhauses in unserer Straße entdeckt und begeistert gekauft hatte.
    »Wer liest denn hier hinterm Mond deutsche Micky-Maus-Hefte …?«
    »Ich denke, die persischen Kinder kaufen das und sehen sich nur die Bilder an«, sagte meine Mutter, die sich auch wunderte. Ein weiterer Beweis für die Blödheit persischer Kinder, fand ich. Ich kaufte mir auch keine französischen Comics und sah mir die Bilder an. Comics anschauen, ohne Sprechblasen zu lesen, machten für mich nur Idioten.
    Ich war soweit, dass ich mich sogar auf die Schule freute. Die Schule würde mir meine Identität zurückgeben und mich aus dem Elend mit Großeltern, Eltern, Tanten, Cousinen und Verwandten befreien, hoffte ich. Und ich brauchte dringend gleichaltrige Menschen um mich herum.

    Es gab 1974 ziemlich viele Auslandsschulen in Teheran. Eine amerikanische, eine britische, eine italienische, eine französische und eine internationale. Alle Erwachsenen gaben immer damit an, auf welche Schule sie ihr Kind schickten, wie schwer es war, dort aufgenommen zu werden, und wie teuer das war. Es war selbstverständlich, auf eine Privatschule zu gehen, aber eine Auslandsschule war der nächsthöhere Level, darauf bildeten sich alle so richtig viel ein. Madressehe Charedschi, sagten sie dann beeindruckt nickend. Dann gab es eine Schule, auf die die Superreichen gingen, die sehr teuer und berüchtigt war, weil dorthin die Kinder der Hofschranzen des Schahs gingen: Iransamin School. Meine Eltern sollten mich dorthin schicken, sagten manche. Da wären die Kinder der Brüder des Schahs und die der Minister und wer sonst noch etwas zu melden hatte. Da wäre ich in den besten Kreisen. Als ob es jemand interessieren würde, auf was für eine blöde Schule man geht, dachte ich. Es gab nichts Langweiligeres als Schule, wie konnte man damit angeben? Jedenfalls waren Auslandsschulen der Gipfel der Angeberei, weil man dafür nicht nur viel Geld brauchte, sondern auch richtig gute Sprachkenntnisse.
    Trotzdem waren alle Auslandsschulen total überfüllt, denn in den fünfziger und sechziger Jahren wurde es nicht nur in meiner, sondern in allen Teheraner Familien mit Geld Mode, die Söhne zum Studium nach Europa und Amerika zu schicken, damit sie danach in ihrer Heimat schön abposen konnten und die Familie zu noch mehr Geld und Ruhm kam. Dass Töchter weggeschickt wurden, war eher selten, die heirateten lieber im Iran und bekamen Kinder. Aber die Söhne brachten fast immer neben einem Diplom eine ausländische Ehefrau und ein, zwei Kinder mit, die kein Farsi sprachen, so wie ich. Und genau diese Kinder waren die vielen Schüler auf den teuren Auslandsschulen. Die Deutsche Schule gehörte zu den Top-Schulen unter den Top-Auslandsschulen, und alle taten schon so schrecklich elitär, bevor wir uns die Schule überhaupt angesehen hatten, dass ich beschloss, allein schon deshalb diese Schule zu hassen. Ich wollte auf keinen Fall ein kleines elitäres Arschloch sein, mit dem Erwachsene angeben konnten. Jeder, dem wir erzählten, dass ich auf die »Madressehe
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