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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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anders, als ich es mir vorstellte, seit wir in Teheran waren. Ich wurde jeden Tag neu enttäuscht. Also war ich immer schlecht gelaunt und unausstehlich. Wenn meine Wünsche in Deutschland unrealistisch gewesen waren, wie etwa einen Erwachsenenfilm nach acht Uhr im Fernsehen zu sehen, diskutierten wir so lange, bis ich es einsah oder meine Eltern das Handtuch warfen und nachgaben. Meine Eltern ließen mich gerne an ihrem Leben teilnehmen und forderten Selbstständigkeit von mir. Kleinkind-Verhalten ging beiden sofort auf die Nerven.
    Aber jetzt wurde ich nicht mehr gefragt, alles wurde ohne mich entschieden.

    Es waren furchtbare erste Wochen. Das Haus meiner Großeltern war zwar riesig groß, aber man durfte nichts. Es war wie ein Mausoleum eingerichtet, so dunkel und schwer, wie ich es nicht kannte. Alles war kostbar und durfte nicht angefasst werden. Der Boden war aus kaltem, weißem Marmor, und darüber lagen mehrere Schichten alter Teppiche, über die man eben nur in Strümpfen laufen durfte. In dem Haus gab es drei Wohnzimmer, jedes mindestens so groß wie unsere gesamte Wohnung in Deutschland. Die beiden größten wurden Salon genannt, es hingen gigantische Kristalllüster darin, einer über einem ebenso gigantischen, dunkelbraun lackierten Esstisch. Dazu gab es Möbel mit weißen Schonbezügen wie in einem alten, kitschigen Schloss, und zwar so viele, dass sich bis zu hundert Leute in den Salons bequem hinsetzen konnten. Mitten in den Salons waren dicke, weiße Marmorsäulen mit Riffeln wie bei Asterix. Dazu standen überall hässliche Vögel und andere Figuren herum. Meine Mutter erklärte, die Figuren hießen Nippes und wären sehr teuer. Es sah alles gespenstisch aus. Die Salons durfte ich nicht betreten, sie waren nur für Gäste. Ich fand es unvorstellbar, wie man so viel Geld für den ganzen hässlichen Schrott ausgeben konnte und ihn dann auch noch stolz vor mir schützen musste. Dann gab es eine Empfangshalle, in der Gäste, die nicht so wichtig waren, abgefertigt wurden, und die Hall genannt wurde. Das war ein großer Raum auf zwei Ebenen, von dem lauter Türen zu den anderen Zimmern abgingen. Dazwischen standen viele einzelne Sessel und Sofas, auf denen man es sich nicht bequem machen, sondern nur gerade sitzen und auf die Obstschalen und Baklava-Berge glotzen durfte. Vorn am Eingang war ein Springbrunnen, in dem die drei dicksten Goldfische schwammen, die ich je gesehen hatte. Die Goldfische waren fast so groß wie Forellen und hatten keine Namen, also taufte ich sie Schangull, Mangull und Ali. Meine Mutter fand, ich sollte Ali lieber umtaufen, sonst wären alle beleidigt, weil das Gotteslästerei wäre.
    Wenn wir bei meiner Großmutter zu Hause waren, saßen wir auf den Sesseln. Es gab keinen Couchtisch in der Mitte, sondern kleine braune Beistelltischchen neben den Sesseln. Auf die Tischchen hatte meine Großmutter jeweils kleine, weiße, gehäkelte Spitzendeckchen gelegt, und darauf standen Kristallschalen mit buntem Obst oder persischen Süßigkeiten, die alle sehr süß, parfümiert und ekelhaft schmeckten. Maman legte gesteigerten Wert darauf, dass man möglichst ununterbrochen aß, wenn man bei ihr zu Besuch war. Das bedeutete für mich als Dauergast den allergrößten Stress. Ich mochte nicht nur ihre Süßigkeiten nicht, zumal meine Mutter mir heimlich zuraunte, ich sollte die lieber nicht anrühren, denn die stünden da sicher schon seit einem Jahr und wären alt. Ich mochte einfach nichts. Aber meine grundsätzliche Nahrungsverweigerung und die Angewohnheit, nur ganz wenige Sachen überhaupt als essbar anzusehen, wurden hier einfach nicht akzeptiert. Ich aß, seit wir in Teheran waren, so gut wie gar nichts mehr, und meine Mutter musste fast jeden Tag in der Küche der beleidigten Maman eine Kleinigkeit für mich kochen, damit ich überhaupt etwas aß. Es ging schon beim Frühstück los. Ich verabscheute Tee, mochte das Naan nicht, verachtete Schafskäse und fand die klebrige Quittenmarmelade ungenießbar. Meine Mutter kaufte im Supermarkt Toastbrot und Erdbeermarmelade für mich. Ich aß den Toast mit Butter, die Erdbeermarmelade war braun und schmeckte überhaupt nicht nach Erdbeere, sondern nur nach braun. Maman war fassungslos, sie hatte noch nicht gesehen, dass man für ein Kind alles extra auftischt und das Kind trotzdem meckert. Aber am schlimmsten war es, wenn wir eingeladen waren oder Besuch mit uns aß. Maman drängte ständig jedem die klebrigen Dinger in ihren
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