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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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fahrbaren Untersätzen: Bonanza-Räder, Kettcars, Roller, Bollerwagen, Puppenwagen und manchmal auch einen richtigen Kinderwagen mit einem echten Kind darin, wenn jemand seine jüngeren Geschwister hüten musste. Wir fochten mit dünnen Ästen oder Besenstielen, bis sich einer verletzte und heulend nach Hause rannte und die anderen sich auf ihre fahrbaren Untersätze schwangen und auch nach Hause rasten und dort mit Herzklopfen unbeteiligt rumsaßen, vor lauter Angst, dass es gleich richtig Ärger geben würde, wonach wieder die Schuldigen und die Opfer wegen Hausarrest einige Zeit von der Bildfläche verschwinden würden.
    Ich war mehr oder weniger zufrieden mit meiner Situation als Kind meiner Eltern, obwohl ich mir oft darüber Gedanken machte, warum ich nicht so aussah wie die anderen, flachsblonden und hellhäutigen Kinder und ich mich oft wie das einzige schwarze Schaf in einer weißen Schafherde fühlte. Ich sah nicht nur anders aus, ich war auch anders. Ich war das schlimme Kind, das, vor dem sich die kleineren und schwächeren Kinder fürchteten, weil sie sich neben mir klein und schwach fühlten und man nie wusste, ob ich nicht mitten im Spiel einen Wutanfall bekam und irgendwen so lange verprügelte, bis es langweilig wurde. Und warum ausgerechnet ich das Kind dieser Eltern geworden war, die auch anders waren als alle anderen Eltern, und ob mich jemand denen zugeteilt hatte und wer das getan haben könnte und warum.
    Aber ich dachte nie lange darüber nach, ich sah eben anders aus und hatte einen etwas komischen Namen, aber ich fühlte nichts davon in mir drin. Unser Leben war ganz normal und sogar etwas schöner als das der anderen. Ich bekam fast alles, was ich wollte, und hatte es dann für mich allein. Die ewigen Geschwisterkämpfe der anderen widerten mich an. Sie stritten sich um alles. Um den besten Platz am Tisch, um den letzten Gummibären oder um den Roller. Einzelkind zu sein, das hatte viele Vorteile, aber auch den Nachteil, dass mir oft langweilig war, und ich alles alleine ausbaden musste und keinen Bruder hatte, der sich für mich prügelte. Ich hatte niemand zum Streiten und musste mich selbst prügeln, aber das war kein Problem. Ich prügelte mich gern.
    Einmal saß ich mit Herzklopfen zu Hause und wusste, gleich würde es richtig Ärger geben, als es an der Tür klingelte. Es war die Nachbarin, deren Tochter ich kurz zuvor einen Hügel hinuntergestoßen hatte und die mich mit ihren Söhnen schon in der ganzen Siedlung gejagt hatte. Keine Brüder zu haben hieß, in solchen Situationen auf mich allein gestellt zu sein, denn meine Freunde entpuppten sich immer als Feiglinge, wenn es hart auf hart kam. Ich hatte es gerade geschafft, in unsere Wohnung zu flüchten, da klingelte es auch schon. Meine Mutter öffnete die Wohnungstür, ich versteckte mich zitternd hinter ihr, und vor der Tür stand die Nachbarin mit dunkelrotem Kopf und schrie:
    »Das hat Ihre Lilly eben meiner Uli herausgerissen!«
    Und wedelte dabei mit einem Büschel feiner, goldblonder Haare vor der Nase meiner Mutter herum. Meine Mutter blieb kühl. Sie drehte sich kurz zu mir um und fragte genervt: »Stimmt das?«
    Ich schüttelte meinen knallroten, heißen Kopf. Dann sah sie die Nachbarin von oben herab an und meinte nur, Kinder würden sich nun einmal beim Spielen verhauen, das würde oft vorkommen. Die Frau riss die Augen ungläubig auf: »Das ist Körperverletzung! Das wird Folgen haben!«, und zog schreiend ab. Ich stand immer noch hinter meiner Mutter und blickte sie unschuldig an.
    »Pass mal auf!«, fuhr sie mich an und sah dabei sehr gut aus. »Wir haben das schlimmste Kind von Sandhorst! Kein deutsches Kind ist so schlimm wie unsere Tochter!«

    Es gab keine anderen Ausländer damals in Sandhorst, nur uns. Ich war das einzige nichtdeutsche Kind in der Schule, in der Siedlung, in der ganzen Kleinstadt. Und ich fiel eben nicht nur durch meine dunklen Haare, sondern auch durch mein schlechtes Benehmen auf. Und ausgerechnet meine schöne, stolze Mutter, die sich durch ihre feine Herkunft, nämlich die einer hochwohlgeborenen Fabrikantentochter, erlauben durfte, die ganze Welt zu verachten, musste sich vor den Deutschen wegen ihrer asozialen Brut schämen.
    Man nannte mich in Sandhorst den »schwarzen Teufel«. Dabei hatte ich so viele Spielsachen, dass ich nie wusste, womit ich spielen sollte, und mich lieber die meiste Zeit langweilte. Wenn Kinder zu mir zum Spielen kamen, stürzten sie sich begeistert auf meine
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