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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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schwarze Seideninnenfutter der Tasche aufschlitzte und hineintatstete, auf der Suche nach Geldbündeln.
    »Ich hab kein Geld«, jammerte mein Vater den Mann an, »bitte, ich hab kein Geld.«
    Dann fing er einfach an zu weinen, während der Mann seelenruhig, das Messer in der einen Hand, mit der anderen durch das ganze Futter tastete. Die Tränen meines Vaters rührten ihn kein bisschen.
    Ich schnürte meine Sneakers wieder zu, während eine der schwarzverhüllten Wärterinnen umständlich einen großen Zettel ausfüllte. Dann brüllte sie mich an, ich sollte da meinen Namen hinschreiben, und schob mir den Zettel hin. Neben ihr auf dem billigen braunen Schreibtisch mit Kunststoffbeschichtung lag mein goldener Armreif. Er passte da nicht hin, in diese schmerzhafte Umgebung.

    Ich konnte nicht lesen, was auf dem Blatt gedruckt war, und was die Frau hineingeschrieben hatte, schon gar nicht. Denen jetzt zu erklären, dass ich nichts lesen konnte, kam mir mehr als unpassend vor. Eine Analphabetin, die Gold aus dem Land schmuggelt, wird doch sofort ausgepeitscht, dachte ich. Meine Hände zitterten, als ich den Bic-Kugelschreiber nahm, um meinen Namen mit Kinderschrift auf den Zettel zu kritzeln. Die Wärterin brüllte noch einmal: address! Und dann: Yallah! Mein Kopf wurde heiß, ich wurde bestimmt rot, und dann fiel mir auch noch der Stift aus der Hand. Als ich mich bückte, um ihn aufzuheben, dachte ich nur noch: nicht-heulen-nicht-heulen-nicht … dann sah ich auf dem grauen Steinboden die vielen dicken Füßchen in dicken, billigen, schwarzen oder hautfarbenen Nylonstrümpfen und billigen, ausgetretenen Schuhen, die unter den schwarzen Tschadors hervorschauten. Einige hatten nur Plastikschlappen an, solche, mit denen die Hausangestellten in Rasht schnell um den Block liefen, um beim Bäcker einige frische Fladen fürs Abendessen zu holen. Als ich wieder hochkam, ging es mir etwas besser. Ich malte in verschnörkelten Buchstaben meine Adresse dazu und sah, wie mein Armreif zusammen mit dem Zettel in einer Plastiktüte in einem Schrank verschwand.
    Mein Vater brüllte vom Tisch herüber, ich sollte sofort kommen und mich zu ihm stellen. Ich stellte mich neben ihn, legte meine blaue Pan-Am-Tasche auf den Tisch und gab ihm den Durchschlag von dem Zettel, den mir die Frau eben in die Hand gedrückt hatte.
    Mein Vater las kurz, was auf dem Zettel stand, sah mich mit blutunterlaufenen Augen hasserfüllt an, hob den Arm und holte mit geballter Faust in Richtung meines Gesichts aus. Ich hatte mich schon geduckt, da wurde er von zwei der Bärtigen zurückgehalten, die empört zu ihm sagten, er solle sich hier gefälligst benehmen, und dann missbilligend die Köpfe schüttelten.
    Ich musste plötzlich an einen Spruch denken, den die Jungs vor ein paar Jahren überall in der Schule hingeschmiert hatten: If you think fuck is funny, fuck yourself and suck your money. Durch meinen Kopf lief plötzlich ein langes Baumwollband. Auf dem Band war in altdeutscher Schrift rot eingestickt: Fickteuchfickteuchfickteuchfickteuchfickteuchfickteuchfickteuchfickteuch, es hörte erst auf, als mich die Stewardess fragte, was ich trinken wollte.
    Wir saßen die gesamten fünf Stunden nebeneinander, ohne ein Wort zu sprechen. Die Maschine war brechend voll, mein Vater musste vor Wochen die letzten Business-Class-Tickets nehmen, weil sonst alles ausverkauft war, sogar die First war jetzt voll, trotz des generellen Ausreiseverbots verließen ganz schön viele Leute das Land.
    Ich hatte die meiste Zeit den Kopfhörer meines Walkman auf den Ohren und die Augen zu, damit er mich nicht ansprach. Ich hatte keine Kraft für seine Worte.
    Ein entsetzlich flaches Gefühl war in mir, ein Gefühl, das ich in der Intensität noch nicht gespürt hatte. Ich hatte Angst. Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem, was mir bevorstand. Die Angst hatte nichts mit Deutschland, Schulwechsel oder Fremde zu tun. Die Angst gab es nur wegen des Mannes, der neben mir saß. Ich war von ihm abhängig, ihm ausgeliefert, ich musste bei allem mitmachen, was er tat, und ich hatte null Vertrauen zu ihm und wusste, er würde nichts richtig und mir das Leben zur Hölle machen. Seine Anwesenheit neben mir im Flugzeug war schon unerträglich und nervenzermürbend genug, wenn meine Mutter dabei gewesen wäre, wäre sie seine Bezugsperson und würde seinen ganzen Quatsch auffangen.
    Aber ohne sie war er verloren, orientierungslos und komplett ohne Kontrolle. Ich hätte gerne allein in der Economy
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