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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond
Autoren: Wäis Kiani
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Almani« gehen sollte, fiel fast um vor Ehrfurcht und sah mich dann an, als wäre ich so was wie ein bescheuertes Wunderkind, dabei war es doch nur eine Schule, auf der die Schüler vom Kindergarten bis zum deutschen Abitur von deutschen Pädagogen und Studienräten auf Deutsch unterrichtet wurden. Persischunterricht fand nur am Rande statt und hatte zum Glück keine weitere Bedeutung. Die Angeberwunderschule befand sich auf einem sehr großen Areal im hohen Norden der Stadt, am Fuße des Elburz-Gebirges, wo der kaiserliche Palast und die Villen der Reichsten waren. Hier oben war es im Sommer viel kühler als in der heißen City. Je weiter im Norden, desto besser war das Klima, desto frischer war es im Sommer und desto pompöser und größer wurden die Villen hinter den hohen Mauern. Die Deutsche Schule war eigentlich eine riesengroße, sehr alte Villa mit einem Park voll hoher Bäume. Der Park mit den hohen Bäumen war das Schulgelände, wo lauter kleine Bungalows standen, in denen die Klassenzimmer waren. Am Eingang des Areals war ein riesiger Bushof, in dem eine Flotte dottergelber Magirus-Deutz-Busse mit verschiedenen Nummern in großen Lettern darauf warteten, die Kinder nach dem Unterricht nach Hause zu bringen. Vom Bushof aus konnte man einen mit diesen alten Bäumen gesäumten Weg bis an das andere Ende des Grundstücks gehen. Rechts und links waren jeweils die Bungalows, in jedem Bungalow waren ein bis zwei Klassenräume untergebracht. Das Grundstück war treppenartig angelegt, man musste immer wieder ein paar Stufen steigen, um auf die nächste Ebene zu gelangen. Ich sah an diesem ersten Tag, an dem ich mit meinen Eltern die Schule besuchte, wie die Kinder mit ihren Bonanza-Rädern die Stufen hoch und runter fuhren. Weiter oben verwandelten sich die alten Bungalows in neue, zweistöckige Häuser aus weißen Fertigplatten. Und obwohl Unterrichtszeit war, lungerten draußen überall Schüler herum. Sie waren alle viel älter als ich und hatten meistens lange Haare, auch die Jungs, und trugen enge Jeans mit weitem Schlag und dazu lange Schals, die sie lässig um den Hals geworfen hatten. Sie sahen alle irre cool aus, gar nicht wie die Perser, die ich bis jetzt gesehen hatte, es waren auch viele blonde dabei. Die Mädchen hatten alle schon Busen, ich achtete genau auf so etwas. Viele von ihnen rauchten Zigaretten, einige der Mädchen saßen bei den langhaarigen Jungs auf dem Schoß. Ein Paar küsste sich hingebungsvoll. Ich kannte solche Szenen nur aus einer Bravo, die wir in Deutschland von der älteren Schwester meiner Freundin Annette geklaut hatten. Wir hatten das zerfledderte Heft, halb geifernd, halb entsetzt durchgeblättert. Es ging nur um irgendwelche Popstars, die ich nicht kannte, oder um halbnackte Jungs und Mädchen, die die Hand in der Hose des anderen hatten. Was ich an diesem ersten Tag auf dem Schulhof der Deutschen Schule in Teheran sah, erinnerte mich an diese Bravo . Ich hatte noch nie solche Teenager in echt gesehen, in meiner alten Grundschule in Sandhorst gab es keine höheren Klassen. Meine Mutter fing leise an zu fluchen: »Ist das hier eine Schule oder ein Sexclub … ich möchte gar nicht, dass du hierher kommst …« Mein Vater sagte nichts und klopfte an das Rektoratszimmer. Eine graue deutsche Frau in einem grauen Rock und einem braunen Pulli bat uns herein und sagte: »Dr. Walter kommt gleich.«
    Dr. Walter hatte einen Bart und war sehr ernst und sehr langweilig. Er hielt einen Vortrag darüber, was für ein hohes Bildungsniveau die Schule hatte, welches Ansehen unter anderen Deutschen Auslandsschulen und wie leicht man in Deutschland jederzeit den Anschluss finden könnte. Er laberte noch irgendetwas über deutsche Demokratie, bikulturelle Erziehung und über seine Studienräte und Oberstudienräte und über den Gymnasial-, Realschul- und Hauptschulzweig. Bei Realschulzweig schüttelte meinVater den Kopf und murmelte: Das kommt für unsere Tochter nicht in Frage. Und bei Hauptschule verzog er sogar angewidert das Gesicht. Meine Mutter hielt die ganze Zeit ihre braune Krokodilledertasche auf dem Schoß fest und blickte den Rektor arrogant an. Danach musste ich in einen anderen Raum und zusammen mit anderen Kindern einen Aufnahmetest machen, damit festgestellt werden konnte, ob ich der deutschen Sprache mächtig und damit wert sei, dass meine Eltern das teure Schulgeld für mich bezahlten. Der Test war für geistig Behinderte gemacht. Eine von den Fragen war: Wenn du weißt, wie du
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