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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London
Autoren: H Nesser
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ich bin überzeugt davon, dass mindestens sieben von zehn Menschen verstehen, wovon ich rede. Es den restlichen dreien zu erklären, dazu fehlt mir die Zeit. Meine Tage sind gezählt.
    Pünktlich um halb zwölf betrat ich das Bad im Porchester Center. Es rühmt sich, Londons ältestes Spa zu sein, und es gibt nichts, was diese Behauptung Lügen strafen würde; Anfang der Siebziger kam ich häufiger hierher, und bereits damals wirkte es ziemlich antik.
    Nichts schien sich verändert zu haben. Dieselben cremefarbenen Kacheln. Dieselben Säulenkapitelle und bleieingefassten, nebelgrauen Fenstergewölbe. Dieselben dunklen Holzbänke und kleinen Tischchen für Getränke, mitgebrachte Lektüre und anderes. Aber die Aschenbecher waren konfisziert. Es war Mittwochvormittag und nur spärlich besucht. Ich entdeckte Fjodor fast sofort; er lag unter ein paar weißen Handtüchern und einer karierten Decke auf einer der Pritschen in dem Raum, der Frigidarium genannt wurde. Nur der Kopf und seine dicken Füße ragten heraus. Ich hatte ihn seit Christophers Beerdigung nicht mehr gesehen, aber damals war er natürlich angezogen gewesen. Er war noch weiter aufgegangen, wie ich feststellen konnte; sein Bauch erhob sich wie ein militärischer Sperrballon unter den Textilien, und ich hätte ihn fast gefragt, wie viel er wiege. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass er etwas launisch sein konnte, und ließ es lieber bleiben.
    Stattdessen begrüßten wir uns artig, er fragte nach meinem Befinden, und ich erklärte, dass ich mit Sicherheit keinen weiteren Sommer mehr erleben würde. Er nickte bekümmert, und ich hatte den Eindruck, dass er seinerseits bereits tot war und genau wusste, wovon ich sprach.
    Ich zog mich aus, wickelte mich in Decken und Handtücher in der üblichen Art und Weise und schlug vor, in die Saunalandschaft hinunterzugehen. Es gelang ihm mit einiger Mühe, sich von der Pritsche zu erheben, und gemeinsam schritten wir die Treppen hinunter. Verbrachten eine Weile im Dampfbad, bis wir uns im Fünfzig-Grad-Ruheraum erneut auf Holzpritschen ausstreckten.
    »Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?«, fragte ich. Wir waren allein in dem kahlen, grün gekachelten Raum und konnten ungestört reden.
    »Du bekommst es am Montag. Es ging nicht früher.«
    »Montag?«
    »Ja.«
    »Und warum war es heute nicht möglich? Es ist ein Monat vergangen, seit ich dich darum gebeten habe.«
    »Du brauchst es doch am fünfundzwanzigsten, oder?«
    »Stimmt. Montag reicht.«
    »Und dann sind wir quitt?«
    »Dann sind wir quitt. Du hast mein Wort.«
    Fjodor war mir seit Ende der Siebziger noch zweitausend Pfund schuldig. Es war ein Kredit um der alten Freundschaft willen, ich hatte angefangen, mir ein Vermögen anzusammeln, und Fjodor war nach der Scheidung von Mary in der Klemme gewesen. Wozu genau er das Geld brauchte, habe ich nie gefragt, und ich habe ihn auch nie an den Kredit erinnert. Das heißt, bis jetzt nicht – bis vor einem Monat nicht, als ich mich an seinen späteren Beruf erinnerte und dass es tatsächlich an der Zeit sein könnte, die Außenstände einzufordern. Wobei ich nicht in erster Linie von den finanziellen Außenständen rede.
    »Ich werde dich nicht nach deinen Plänen fragen«, stellte er jetzt fest. »Aber soweit ich es verstanden habe, kannst du dich nicht damit abfinden, einfach so zu sterben wie normale Leute.«
    »Vollkommen richtig«, antwortete ich. »Damit kann ich mich nicht abfinden. Aber du hast nie den wirklichen Wert des Lebens verstanden, deshalb werde ich es gar nicht mit irgendwelchen Erklärungen versuchen.«
    »Sag ich doch«, erwiderte Fjodor. »Du bist schon immer ein verschrobener Kerl gewesen. Das habe ich früher schon gedacht, es aber nie so recht verstanden. Es gab zu der Zeit viele, die verschroben waren. Gewisse Dinge brauchen ein paar Jahre, um deutlich zu werden.«
    »Willst du mich jetzt ärgern?«, fragte ich und legte mir ein kaltes, feuchtes Handtuch über Stirn und Augen. »Ist das deine alte Eifersucht, oder worum geht es? Die Sache mit Mary und mir? Da war nie etwas zwischen uns, das weißt du. Nicht in dieser Form.«
    »Ach, halt einfach den Mund«, bat Fjodor. »Ich habe doch kein Wort über dich und Mary gesagt. Außerdem habe ich sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen und seit Februar nicht mehr an sie gedacht.«
    »Februar?«, wunderte ich mich. »Warum hast du im Februar an sie gedacht?«
    »Na, da hatte sie doch Geburtstag«, konstatierte Fjodor mit einem schweren
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