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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London
Autoren: H Nesser
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darum gebeten, als ich anrief, um das Zimmer zu buchen, und es hatte dem nichts im Wege gestanden. Ein großer Raum mit einem geräumigen Balkon nach Westen hin, auf Portobello und Notting Hill zu. Während wir eincheckten, hatte der Regen aufgehört, ich schlug ein Glas Sherry draußen an der frischen Luft vor, und Maud willigte ein. Sie wischte den Tisch und die Stühle mit einem Handtuch ab, während ich Gläser und die Flasche heraussuchte, die wir im Taxfreeladen gekauft hatten.
    Schade, dachte ich, während wir die Gläser hoben und unsere Blicke einander begegneten. Schade, dass du deine Karten nicht besser gespielt hast.
    Aber darum geht oder ging es natürlich nicht; dies ist nur eine dieser hohlen Formulierungen, die man in Ermangelung präziserer Worte benutzt.
    Während wir draußen auf dem Balkon saßen, schluckte ich auch meine Medikamente – nach ihrer Ermahnung. Da ist sie sehr gewissenhaft. Zwei weiße, zwei rote, eine graue Tablette mit einem blauen Streifen. Dreimal am Tag, ärztlich verordnet. Es gefällt ihr, mich daran zu erinnern, da es sie in ein gutes Licht rückt. Sie erhält mich am Leben. Achtet darauf, dass ich keine Schmerzen habe, ich bin viel zu zerstreut, um mich um diese Sachen selbst zu kümmern.
    Was sicher Quatsch ist, aber ich habe sie es genau in diesen Worten beschreiben gehört, sowohl Gertrud als auch Tom gegenüber. Das Problem mit den Medikamenten ist ein anderes, nicht, dass ich vergesse, sie zu nehmen; sie stumpfen mich ab. Nicht viel, aber ein wenig. Wenn ich einen klaren Kopf haben will, muss ich auf diese Pillen verzichten, aber der Schmerz stellt sich statt ihrer so sicher ein wie das Amen in der Kirche, dennoch entscheide ich mich manchmal für diese Alternative. Es ist ein verzwicktes Spiel, ich bin der Erste, der das zugeben würde, aber zwischen der Müdigkeit und den Schmerzen liegen einige erstrebenswerte Stunden – eine oder anderthalb zumindest –, und in Anbetracht dessen, was ich mir auferlegt habe, ist es wichtig, dass ich diese kurzen Zeitabschnitte jeden Tag nutzen kann. Siebzig, achtzig Minuten, in denen ich weder müde noch abgestumpft bin, noch von Schmerzen dominiert werde, ja, ich schätze, dass dies eine Art tägliche Notwendigkeit ist. Der späte Morgen und der frühe Abend, das sind die besten Zeiten.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Ausgezeichnet, danke.«
    »Schmerzen?«
    »Nein.«
    »Müde?«
    »Nicht sehr. Wenn ich ein Nickerchen mache, können wir später essen gehen.«
    »Dir gefällt dieses Viertel hier, oder?«
    »Ja, es gefällt mir sehr.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Eine Weile blieben wir schweigend beieinander sitzen und betrachteten den westlichen Himmel über Wembley und Ealing, wo die untergehende Sonne gerade durch die Wolkendecke brach. Ich rauchte noch eine Zigarette und stellte fest, dass wir das erste Mal zusammen in London waren. Gewiss auch das letzte Mal. Die Stadt bedeutete Maud gar nichts. Sie hatte keine Beziehung zu Covent Garden, Little Venice oder Chalk Farm. War nie mit zwei Sterling in der Tasche in der Dämmerung über die Hungerford Bridge gegangen, hatte nie im The Elgin gesessen, Minuten bevor die Fußballbilder von Highbury eintrudelten. Highbury gab es nicht mehr, zumindest trägt Arsenal seine Spiele heutzutage woanders aus, ich sehe das als ein Zeichen, dass es Zeit zum Sterben sein könnte. Covent Garden sieht auch nicht mehr aus wie in den Sechzigern, als ich zum ersten Mal herkam, aber mein Gott, denke ich, das ist jetzt mehr als vierzig Jahre her. Fünfundvierzig genau genommen, aber nun spüre ich, dass mich der Schlaf am Wickel hat, und ich trinke die letzten Sherrytropfen. Es ist natürlich nicht die Stadt, die diese große Veränderung durchgemacht hat; was im Laufe eines knappen halben Jahrhunderts an Bau-, Entwicklungs- und Modernisierungsmaßnahmen getätigt wurde, ist reine Kosmetik zu der Veränderung und dem Absturz, der in mir selbst stattgefunden hat.
    So ist es nun einmal. Es ist nicht die Welt, die altert, sie wird nur immer neuer und neuer, erfindet sich an jedem modernen Morgen und zu jedem jungfräulichen Krieg wieder aufs Neue. Es ist der Blick des Betrachters, der alt wird; unschön verpackt liegen uns all die Tage und Jahre in einem immer undurchlässiger werdenden Filter vor Augen, das ist eine von tausend denkbaren Arten, die Sache auszudrücken, und es ist nicht wirklich neu.
    »Geh rein und leg dich hin, bevor du vom Stuhl kippst.«
    Ich richte mich auf und lasse mich
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