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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
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Henrich Dirksen war überall hoch angesehen, auch bei den Reformierten, obgleich die ja nicht den richtigen, christlichen Glauben hatten, und so blieb immer wieder eine der Frauen stehen, um einen kleinen Schnack zu halten. Ob das die Enkelin aus Emden sei? Die Tochter vom Ernst. Wo sie denn den kleinen Bruder gelassen habe? Dann erklärte Charlotte, dass ihre Eltern und der Bruder unterwegs nach Indien seien, und spürte voller Unbehagen die aufdringlichen Blicke. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Frauen das alles längst wussten, sie wollten sie nur anstarren und ausfragen, vielleicht wollten sie auch wissen, ob sie ordentliches Deutsch reden konnte und nicht etwa Englisch oder Indisch.
    » Bis in den Sommer hinein bleibst du bei der Großmutter? Da wird sie sich aber freuen, du bist doch eine ganz fixe Deern!«
    Möwen kreisten über der Stadt, weiß gefiederte Diebe mit spitzen Schnäbeln; sie kamen von der Anlegestelle der Fischerboote her, wo manchmal etwas für sie abfiel. Die Maisonne ließ das spärliche Grün in den Straßen und Vorgärten leuchten, trotzdem erschien Charlotte die Stadt grau und irgendwie trostlos. Die Häuser waren niedrig, der Backstein dunkel verfärbt von Wind und Regen, zwischen den Häusern standen halb verfallene Remisen, wacklige Unterstände für Brennholz und allerlei Krempel, auch kaputte Boote, die vor sich hin moderten. Windmühlen drehten ihre Flügel wie kreischende, flatternde Ungetüme, ein Geräusch, das Charlotte heute seltsamerweise Angst machte, obgleich sie es bei früheren Besuchen in Leer immer lustig gefunden hatte. Vielleicht kam ihr die Stadt auch nur so hässlich vor, weil die Rosen noch nicht blühten, die vielerorts die Eingangstüren umrankten, doch vielleicht war der Grund auch einfach der, dass Charlotte so gerne auf dem Schiff bei Jonny und den Eltern gewesen wäre. Bis zum Spätsommer– das war so lang, dass es sich nicht lohnte, die Tage zu zählen, ein ganzes Leben, eine Ewigkeit.
    » Wenn du wieder handelst und wir Geld sparen, könnten wir uns Bärendreck kaufen«, schlug Paul vor.
    » Nee«, widersprach Ettje energisch. » Das kommt auf.«
    Charlotte schwieg entrüstet. Wenn sie schon handelte, dann tat sie es, um die Großmutter zu beeindrucken, um ihr Lob zu hören, wenn sie die gesparten Pfennige auf den Tisch zählte, keinesfalls aber, um für Ettje und Paul heimlich Süßes zu kaufen, denn das war gemeiner Betrug.
    Sie bogen von der Osterstraße nach links in die Norderstraße ein, von wo man schon den Lärm des Marktes hören konnte. Auch in den kleinen Läden und Werkstuben war Betrieb, und Paul wäre mit seinem großen Korb fast in ein Pferdefuhrwerk gerannt, das Bierfässer geladen hatte. Im letzten Moment riss Ettje den kleinen Bruder zurück und nahm die Gelegenheit wahr, ihm zwei saftige Ohrfeigen zu verpassen.
    » Dummkopf! Die Großmutter wird mich prügeln, wenn du unter die Hufe kommst.«
    Charlotte war schon vorgelaufen und hörte Pauls Geheul nur schwach und mit dem Marktlärm vermischt. In der Pfeffergasse, die in den Platz vor dem Rathaus mündete, gab es zwei hohe, schmale Schaufenster, die zu Julius Ohlsens Kolonialwarenladen gehörten. So ein Geschäft gab es nicht einmal in Emden, denn hier konnte man den ausgestopften Kopf eines echten Löwen bewundern. Er hing hinter den Auslagen an einer hölzernen Trennwand, riesig, umwallt von seiner braunschwarzen Mähne und mit aufgerissenem Maul, so dass man seine gelben Reißzähne sah. Das Fell hatte zwar schon einige Mottenlöcher, und auch die Nase war beschädigt, dennoch standen immer wieder zahlreiche Leute vor dem Laden, vor allem die Kinder.
    Charlotte hatte zuerst das Gleiche wie alle anderen Betrachter empfunden: ein Grauen, das mit einem seltsam wohligen Gefühl gemischt war, so dass man sich von dem Anblick des toten Raubtieres kaum losreißen konnte. Dann aber hatte sie Mitleid mit dem Löwen bekommen. Was für ein prächtiger Wüstenkönig er gewesen sein musste, als er noch frei in seiner Heimat lebte, und jetzt hing er hier an der Holzwand, die lebendigen Augen durch braune Glaskugeln ersetzt, und alle Leute starrten ihn an. Wie schade, dass es keinen Zauber gab, der ihn wieder lebendig machen konnte. Es wäre lustig gewesen, wenn er plötzlich gebrüllt hätte, so gewaltig, wie nur ein Löwe brüllen konnte. Da wären die dummen Gaffer davongelaufen, manche vielleicht gar in Ohnmacht gefallen, und die Kinder hätten angefangen zu heulen.
    » Wenn ich groß bin,
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