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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Autoren: Bethany Griffin
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    K alter Regen fällt vom schiefergrauen Himmel, als wir an einer Kreuzung abrupt zum Stehen kommen. Ein schwarzer Karren blockiert die Straße, und obwohl wir in einer gepanzerten Kutsche sitzen, macht der Fahrer keine Anstalten, sich daran vorbeizudrängen.
    Stämmige Männer schleppen etwas zu ihrem Karren. Jemanden. Einer von ihnen gerät ins Straucheln, worauf die Leiche grotesk zwischen ihnen zu schaukeln beginnt.
    Ich höre meine Freundin April hinter ihrer Maske würgen. »Was für ein Pech, dass die Maske, die dein Vater entwickelt hat, nur vor der Ansteckung, aber nicht vor diesem widerlichen Gestank schützt.«
    Werden die Leute, die noch im Haus sind, heute Nacht frieren müssen, wenn sie ihre Toten in ihre einzigen Decken hüllen? Nicht besonders klug von ihnen.
    Die Leichensammler tragen dünne, lappige Stoffmasken, die völlig nutzlos als Schutz vor Ansteckung sind. Sie zerren ihren Karren gerade einmal hundert Meter weiter, dann halten sie erneut an. Es scheint sie nicht zu kümmern, dass sie den Verkehr aufhalten. Ihnen ist es völlig egal, dass wir auf dem Weg in den Debauchery District sind, um es so richtig krachen zu lassen.
    Der Debauchery District. Allein der Name lässt mich erschaudern.
    Gerade als ich mich April zuwende und über die Verspätung schimpfen will, schiebt jemand ein Mädchen aus einer Tür auf die Straße heraus.
    Sie hält etwas in den Armen. Dass sie genau dann auftaucht, als die Leichensammler ihre tägliche Runde machen, kann kein Zufall sein. Weitere Gestalten erscheinen im Türrahmen – möglicherweise sind es die Bewohner des Hauses. Ich habe Angst vor ihnen, weil keiner von ihnen eine Maske trägt, nicht einmal eine aus Stoff.
    Einer der Leichensammler tritt auf das Mädchen zu. Bis zu diesem Augenblick habe ich mir gewünscht, er möge sich beeilen, doch nun erfüllt mich jeder seiner schweren Schritte mit Furcht.
    Das Mädchen ist zierlich und trägt ein uraltes Kleid, dessen Säume gekürzt wurden, damit man ihre Arme und Beine sehen kann. Trotzdem kann ich im trüben Licht nicht erkennen, ob sie die Male der Krankheit trägt oder nicht. Die Menschen im Haus bedeuten ihr, dem Mann das Bündel zu geben, doch sie wendet sich ab. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, dass es sich bei dem Bündel in ihren Armen um ein Baby handelt.
    Sie hebt das Gesicht in den strömenden Regen. Ihre Verzweiflung ist förmlich mit Händen greifbar.
    Ich weiß nicht, wie es mir gelingt, die Tränen von den Regentropfen zu unterscheiden, die ihr übers Gesicht strömen. Aber ich kann es.
    Unsere Blicke begegnen sich.
    Etwas rührt sich in mir – die erste echte Empfindung an diesem Tag, abgesehen von einer vagen Vorfreude auf heute Abend. Doch was in mir aufsteigt, ist in Wahrheit nur eine nagende Übelkeit – nichts, worüber man sich freuen würde.
    In diesem Moment tritt ein junger Mann aus den Überresten des Hauses, dessen Dach höchstwahrscheinlich im Zuge irgendeines sinnlosen Aufstands weggerissen und später mit einer Plane abgedeckt wurde. Das Mädchen wendet den Blick ab. Er packt sie und dreht sie an den Schultern herum. Ich frage mich, ob er der Vater des Kleinen ist, ob ihm das leblose Bündel etwas bedeutet hat oder ob er nur die Krankheit von sich abwenden will; jenen Ausschlag, der einen dicken Schorf bildet und sich durch die Haut frisst. Hat man sich erst einmal damit angesteckt, gibt es kein Entrinnen. Der Tod kommt unweigerlich. Nur wenn man Glück hat, geht es sehr schnell.
    Ich versuche das Alter der jungen Mutter zu schätzen. Nach ihrer Körperhaltung zu schließen, muss es ein blutjunges Mädchen sein.
    Vielleicht fühle ich deshalb diese Verbindung zu ihr. Weil wir im selben Alter sind.
    Vielleicht liegt es auch daran, dass sich unsere Blicke begegnet sind. Normalerweise sehen sie uns nicht an.
    Die Trauer des Mädchens ist ein blindwütiger, alles verschlingender Schmerz, und aus irgendeinem Grund kann ich ihn nachempfinden, obwohl mein Inneres eigentlich taub sein sollte. Als die Männer ihr das Baby aus den Armen reißen, überfällt mich ein tiefes Gefühl des Verlusts. Am liebsten würde ich die Arme ausstrecken und sie anflehen, aber April würde mich wahrscheinlich nur auslachen.
    Meine Knie beginnen zu zittern. Was ist nur los mit mir? Ich bin den Tränen nahe. Wenigstens sieht mich keiner genau genug an, um zwischen Tränen und Regentropfen unterscheiden zu können.
    Die Männer werfen das tote Baby auf den Karren.
    Als ich mir das
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