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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Autoren: Bethany Griffin
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mich.
    »Hast du nun, was ich will, oder nicht?«
    Er zieht eine silberne Spritze hervor.
    »Ich bezweifle, dass du weißt, was du willst«, murmelt er in abfälligem Tonfall, als wäre ich eine Idiotin. Eine Amateurin. Ich ignoriere meine aufsteigende Wut, fest entschlossen, mir zu beschaffen, was ich brauche, um sie und jede andere Gefühlsregung zu bekämpfen, die in mir aufkeimen könnte. Ich bin keine Amateurin.
    Mein Blick fällt auf die Spritze.
    »Viel los heute Abend?«, frage ich.
    »Normalerweise gebe ich nichts ab von meinem Stoff.«
    Ich reiche ihm ein paar Geldscheine, die er in seiner Hosentasche verschwinden lässt, ohne sie richtig anzusehen. Seine Brauen sind ebenfalls blond und verleihen seinem Gesicht einen Ausdruck ständigen Erstaunens.
    Ich halte ihm meinen Arm hin. »Los.«
    »Willst du denn gar nicht wissen, was da drin ist?«
    »Nein.«
    Meine Antwort scheint ihn noch mehr zu erstaunen, falls das überhaupt möglich ist. Seine blonden Brauen faszinieren mich.
    Was auch immer sich in der Spritze befinden mag, fühlt sich kalt an. Die Welt um mich herum beginnt zu verschwimmen.
    »Wo willst du jetzt hin?«
    »Zurück zu dem Mädchen mit der Geige. Ich will hören, wie sie über den Selbstmord singt.«
    Er lacht.
    Als wir die Toilette verlassen, stolpere ich über die Schwelle. Er hält mich am Arm fest.
    »Ich hoffe, du findest, wonach du suchst«, sagt er. Und es klingt, als meine er es auch so.

Z WEI
    D unkelheit. Wir essen in der Dunkelheit, wir reden in der Dunkelheit, wir schlafen in der feuchten Dunkelheit, eingehüllt in unsere Decken. Es gibt nie ausreichend Licht hier unten; nicht, wenn man wirklich etwas sehen will.
    »Dein Zug«, sagt mein Zwillingsbruder Finn. Seine Stimme ist sanft, ohne jeden Anflug von Verärgerung. Ich weiß, dass ich träume, aber es kümmert mich nicht. Ich werde hierbleiben, so lange ich nur kann.
    »Tut mir leid.« Ich blicke auf die Quadrate auf dem Brett. Es ist völlig sinnlos, mir die Figuren anzusehen, denn ich habe sowieso keine Ahnung, was ich tun soll. Ich besitze keinen Funken strategisches Talent, will mich aber auf keinen Fall kampflos geschlagen geben. Er soll zumindest ein klein wenig Spaß und Abwechslung haben, indem ich ihm Paroli biete.
    »Ich stelle die Lampe anders hin.«
    Er tut so, als hätte mein spielerisches Unvermögen lediglich etwas mit der Beleuchtung zu tun. Ich berühre den Elfenbeinkönig mit der Fingerspitze.
    Vater kommt aus seinem Labor und nimmt die Schutzbrille ab.
    »Hat jemand Lust auf Mittagessen?«
    Wir haben immer Lust auf das Mittagessen. Es durchbricht die Monotonie unseres Tagesablaufs. Wir folgen ihm in die Küche, in der sich die Konservendosen bis unter die Decke stapeln. Vater gibt etwas in eine Schüssel und stellt sie auf den Gasherd.
    »Ich glaube nicht, dass …«, sage ich warnend.
    In diesem Moment gibt es eine laute Explosion, und die Gaslampe über unseren Köpfen erlischt.
    »Es bringt nichts, sie zu reparieren. Nicht, wo ich so kurz vor dem Durchbruch stehe.« Das sagt Vater nahezu jeden Tag.
    »Ich nehme Pfirsiche«, sagt Finn. »Dosenpfirsiche schmecken auch kalt.« Er ist Vater nicht böse, weil er uns in den Untergrund gebracht hat. Weil er seine Versprechen nicht hält und manchmal tagelang in seinem Labor verschwindet, um Gott weiß woran zu arbeiten. Finn ist noch nicht einmal Mutter böse, weil sie nicht mit uns hier unten leben wollte.
    »Ich mag Pfirsiche gern«, sage ich. Finn fördert stets das Beste in mir zutage. Licht und Dunkelheit, so nennt Vater uns immer.
    »Ich bin ein echter Glückspilz«, sagt Vater. »Dass Gott mich mit so geduldigen Kindern gesegnet hat.« Seine Stimme bebt, und ich glaube, im Halbdunkel Tränen in seinen Augen glitzern zu sehen. Er sieht an mir vorbei zu Finn.
    In diesem Moment klopft es. Die Tür geht auf. Im Licht der Eingangstür, deren Schwelle wir seit einer Ewigkeit nicht mehr übertreten haben, ragt die Silhouette eines Mannes über uns auf.
    »Dr. Worth«, sagt der Mann. »Mein Sohn – er hat die Krankheit, trotzdem lebt er noch … seit über einem Monat.«
    Das ist völlig unmöglich. Hat man sich angesteckt, ist der Tod unausweichlich. Das weiß jedes Kind.
    »Geben Sie mir Ihre Adresse«, sagt Vater. »Ich komme später vorbei, wenn ihre Mutter hier ist, um auf sie aufzupassen.« Das bedeutet, Mutter kommt zu Besuch. Das wird Finn freuen. Der Mann nennt Vater mechanisch seine Adresse. Seine Stimme ist leise und ruhig, als gebe es nichts, was ihm
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