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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Autoren: Bethany Griffin
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Geräusch vorstelle, das der winzige Körper macht, zucke ich zusammen, obwohl ich lediglich das Rumpeln des Wagens und Aprils genervten Seufzer höre.
    »Eigentlich sollten sie froh darüber sein«, sagt sie. »Mein Onkel blättert ein Vermögen dafür hin, dass die Leichen entsorgt werden. Sonst wäre die Unterstadt längst unbewohnbar.«
    Würde ich April mit ihrem silbernen Glitzerlidschatten aus der offenen Kutsche stoßen, würde sich die Meute am Straßenrand ganz bestimmt auf sie stürzen und sie töten. Würde ich ihr die Maske herunterreißen, wäre sie innerhalb weniger Wochen tot.
    Sie versteht all das nicht. Sie ist in den Akkadian Towers aufgewachsen und war nie draußen auf der Straße. Zumindest nicht hier und auch nicht einen halben Block westwärts, wo ich früher einmal in vollständiger Dunkelheit leben musste. Aber davon weiß sie nichts, und sie wird es auch nie erfahren.
    Trotzdem kann ich ihr nicht böse sein. Ich lebe für April, für die Stunden mit ihr, in denen sie mich vergessen lässt, und für die Orte, zu denen sie mich mitnimmt. Vielleicht hat sie ja recht, und die Leute können tatsächlich froh sein, dass die Männer ihnen die Leichen aus den Armen reißen.
    Aus dem Augenwinkel registriere ich dunkle, schemenhafte Gestalten zwischen zwei Gebäuden auftauchen. Ich kneife die Augen zusammen, doch sie kommen nicht aus der Düsternis heraus. Angst überfällt mich. In dieser Gegend kann es schnell gefährlich werden. Die Leichensammler marschieren zur nächsten, mit einer roten Sense markierten Tür, verschwinden in den Schatten und treten wieder ins Licht. Ihre Gleichgültigkeit lässt die verzweifelten Versuche der verhüllten Gestalten, im Verborgenen zu bleiben, noch deutlicher erscheinen.
    April bekommt nichts von all dem mit.
    Unter einem dunklen Umhang lässt sich so gut wie alles verbergen. Unser Fahrer stößt einen Fluch aus und macht eine scharfe Wendung. Endlich gelingt es ihm, an dem Leichenkarren vorbeizumanövrieren. Als ich einen Blick über die Schulter werfe, sind die Männer mit ihren Umhängen bereits mit den Schatten verschmolzen.
    Wenigstens können wir uns wieder unserem abendlichen Vergnügen widmen.
    Wir biegen um eine Ecke. Unser Ziel kommt in Sicht. Es befindet sich in einer kleinen Senke, so als wäre der gesamte Häuserblock ein paar Meter abgesackt. Über dem höchsten Gebäude des Viertels schwebt ein Heißluftballon. Obwohl man den Schriftzug nicht erkennen kann, weiß jeder hier, dass er das Markenzeichen des Debauchery Districts ist.
    Der Ballon ist eine schwebende Erinnerung – nicht daran, dass wir früher alles Mögliche erfunden haben und umherreisen konnten; vielmehr erinnert er die Leute daran, dass sie, wenn sie hierherkommen und genug Geld mitbringen, für ein paar Stunden hässlichen Dingen wie Tod und Krankheit entfliehen können.
    »Du bist mit den Gedanken wieder mal meilenweit weg«, sagt April mit dieser typisch leisen Stimme, mit der sie mit mir spricht, wenn sie früher auftaucht als erwartet und mich dabei ertappt, wie ich in den Regen hinausstarre.
    Ich habe keine Ahnung, weshalb sie so versessen auf meine Gesellschaft ist. Sie ist quirlig und voller Leben, während ich ständig bloß vor mich hinstarre und im Schlaf leise wimmere. Und wenn ich wach bin, grüble ich über den Tod nach oder versuche zu lesen, schaffe es aber kaum, etwas zu Ende zu bringen. Gedichte sind das Einzige, worauf ich mich konzentrieren kann, und April hasst Gedichte.
    Das Einzige, was April und mich verbindet, sind Rituale – Stunden, in denen wir Make-up auflegen, Glitzerpuder, falsche Wimpern, einzeln angeklebt, Lippenstift, der mit konzentrierter Präzision aufgetragen wird. Wenn man es genau nimmt, ist der Unterschied zwischen jemandem, der gedankenverloren sein Gesicht im Spiegel betrachtet, und jemandem, der in die vergiftete Trübnis hinausstarrt, eigentlich gar nicht so groß. Im Grunde könnte April es auch mit jedem anderen Mädchen tun.
    Es gibt keinerlei Grund, weshalb ausgerechnet ich diejenige sein muss, die ihr Gesellschaft leistet.
    »Heute Abend wird der blanke Wahnsinn«, sagt sie fröhlich. »Wart’s ab.«
    Die Leute sitzen in den Überresten ihrer einst feudalen Salons, trinken minderwertigen Tee-Ersatz aus ihren angeschlagenen Porzellantassen und tuscheln über den Debauchery Club. Echter Tee ist Importware. So etwas gibt es hier seit Jahren nicht mehr.
    Als Erstes kommen wir an einem Club namens Morgue vorbei. Er befindet sich in einem
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