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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen
Autoren: Franz Fühmann
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VORWORT
    Als ich, bei einem Gespräch mit jungen Lesern, zum ersten Mal gefragt wurde, ob ich
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schriebe, antwortete ich ohne Zögern mit Nein! — Ich dachte an Science-fiction, wovon ich das nicht sehr viele, das ich kannte, nicht mochte und dessen Fundus ich daher nicht zu erweitern gedachte. Später las ich dann mehr, und hie und da gefiel mir schon etwas, so zum Beispiel die Beschreibung der Denkstruktur von Seesternwesen, die, ihrer radialen Anlage entsprechend, keine Entweder-Oder-Entscheidungen, sondern nur Positionsbestimmungen auf der Skala eines Kontinuums kennen.
    Aber Science-fiction machen wollte ich dennoch nie.
    Dann, in einer bösen Krise, ich glaube 1974, schrieb ich die erste Geschichte dieses Buches, die „Ohnmacht“; ich schrieb sie, um eine existentielle Lähmung zu überwinden, und fand in jener irrealen Welt und Weise die mir anders nicht gewinnbare Form, das, was mich quälte, in Worte zu fassen. — Daß die Worte quälend wurden, nahm ich in Kauf. — „Sinn und Form“ druckte diese Geschichte, und ich wurde bald darauf von einem Leser belehrt, das Genre der Science-fiction arg verfehlt zu haben: das darin enthaltene physikalische Problem sei von mir in einer Weise angepackt worden, die für ernsthafte Science-fiction zu viel Kolportage und für Kolportierendes zu viel Ernst aufwende. — Aha. — Mir fehlte jede Voraussetzung, mich auf eine Diskussion über Science-fiction einzulassen; ich beschränkte mich, darauf hinzuweisen, daß ich ja gar keine Science-fiction hätte schreiben wollen, allein das ließ mein Leser nicht gelten. Genre sei Genre, schrieb er zurück, und als Marxist müsse ich wissen, daß es nicht darauf ankomme, was einer subjektiv wolle, sondern was er objektiv tue. — Gut. Ein Mißverständnis. Um es nicht zu reproduzieren, beschloß ich, künftig derlei Geschichten als
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zu deklarieren.
    Denn ich hatte indessen begriffen, daß die Personnage Janno-Jirro-Pavlo mir gerade wegen ihres etwas abstrakten Charakters Gelegenheit gab, auch andere Bedrängnisse und Nöte schreibend zu materialisieren, um ihnen besser begegnen zu können, Bedrängnisse und Nöte jener Art, die sich so schwer darstellen lassen, weil sie zwar der Realität entstammen, sie aber, die Realität, wohl maßlos überschreiten. Solche Hypertrophierung von Gefühlen entspricht im emotionalen Bereich dem Etwas-zu-Ende-Denken im rationalen, nur daß Denken eben eine andre Stringenz und auch eine andere Objektivität hat als das Fürchten oder Schaudern oder Ahnen oder Bedrängtsein. „Etwas zu Ende fürchten“ zielt dann in die Katastrophe; „etwas zu Ende ahnen“ verbannt alle Alternative; „jemanden zu Ende bedrängen“ heißt ihn vernichten; „an etwas zu Ende schaudern“ bringt Gespenstisches nicht nur ein, sondern macht es allmächtig, allgegenwärtig und absolut. Die Welt dieser Geschichten ist irreale Endzeit, Summe und Konsequenz all des Negativen, das die sich bildende Menschheit entäußert; aber alle diese Ende haben auch ihre Anfänge gehabt, und es sollte gelten, denen zu wehren, vor allem da, wo alles anfängt: im persönlichen Bereich.
    Indes, Mißverständnisse werden nicht ausbleiben, und um wenigstens eines gegenstandslos zu machen:
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entwirft kein Utopiesystem, am wenigsten ein geschlossenes, und sie macht sich nicht anheischig, zu prophezeien. Wenn man nicht weiß, was morgen sein wird, wie soll man da wissen, was im Jahr 3456 geschieht? Von Wissenschaft ist da kaum etwas spürbar: lose Andeutungen eines sozialen Raumes, vom Fall zum Fall der einzelnen Geschichten in den Details differierend, mit uneinheitlicher Terminologie, und mitunter auch sich widersprechend; man suche da keine Geschlossenheit. — Ich bringe die Geschichten in der Reihenfolge ihres Entstehens; es ist mir beim Schreiben auch zweimal passiert, Personen miteinander verwechselt zu haben. Derlei geschieht im Leben ja auch: Man steht plötzlich als ganz wer Anderer da; warum also nicht auch in der Literatur?
    SAIÄNS-FIKTSCHEN
denn —: ein Zwitterwesen; als Science-fiction nicht ernst zu nehmen, als
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vielleicht so ernst, wie es das Schriftbild eines Gesprochenen sagt: als Verfremdung. — Sie zeigt Resultate, nicht Prozesse, wiewohl diese Resultate prozeßhaft sind. — Sie sind, diese Geschichten, insgesamt Schlußpunkte, im Bereich gestockter Widersprüche, wo Stagnation als Triebkraft auftritt. — Entwicklung als Entwicklungslosigkeit. —
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