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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
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durch, wenn ihn keiner aufweckt.«
    Großmutter Grete überragte Charlotte nur um einen halben Kopf, dafür war sie breit, bewegte sich rasch und hatte eine kräftige Stimme. Wenn sie ernst dreinblickte, war ihr Gesicht ganz glatt, nur die Wangen hingen ein wenig herunter. Wenn sie aber lachte– und das tat sie oft–, glich ihre Haut zerknittertem Papier und hatte tausende winzige Fältchen. Obgleich sie so klein war, hatte die Großmutter doch das Sagen im Haus, nicht einmal der Großvater wagte ihr zu widersprechen, dabei war er doch früher Pfarrer gewesen und auch jetzt noch eine Respektsperson für alle guten Lutheraner in Leer.
    Charlotte hob den Krug vorsichtig an– er war jetzt elend schwer und noch dazu ziemlich voll.
    » Geh langsam, und oben lass Ettje einschütten!«
    Die Großmutter drehte sich wieder zum Herd, um einen Topf zurechtzuschieben, und schien sich nicht weiter um Charlottes Kampf mit dem Waschkrug zu kümmern. Dafür folgte Tante Fanny ihrer Nichte mit besorgtem Blick, hielt sogar mit der Arbeit inne, und ihrer Miene war zu entnehmen, dass sie jeden Augenblick eine Katastrophe befürchtete. Aber das war nichts Ungewöhnliches– die dünne, blasse Tante zog immer ein Gesicht, als stünde ihnen schon morgen der Jüngste Tag bevor. Das erste Mal schwappte das warme Wasser im Flur über, aber auch nur deshalb, weil ihr der dumme, graue Kater zwischen die Beine lief. Ein Schwall klatschte ihm auf den Rücken, und er zischte zu Tode erschrocken in Richtung Küche davon. Auf der Treppe musste sie zweimal stehen bleiben, weil sie beinahe Mamas hellblaues Wolltuch verloren hätte. Das Wasser schwappte erneut über, und Charlotte versuchte, die Lachen mit dem nackten Fuß zu verwischen. Oben im halbdunklen Flur stand Paul im kurzen Nachthemd am Geländer und sah gespannt zu, wie die Cousine den Krug balancierte. Als sie mit ihrer Last heil oben ankam, machte er ein enttäuschtes Gesicht.
    » Ich hab dich verhext«, feixte er. » Gleich musst du den Krug fallen lassen.«
    » Geh weg!«
    » Er fällt, er fällt…«
    Er hampelte dicht vor ihr herum und zog allerlei Grimassen, aber er wagte doch nicht, sie anzustoßen, denn wenn der Krug tatsächlich zu Bruch gegangen wäre, hätte er großen Ärger bekommen.
    » Du hast gelbe Augen wie ein Kater!«, rief er hämisch, als sie schon vor der Tür der Schlafkammer war und er das Spiel aufgeben musste. » Kateraugen, Hexenaugen…«
    Es war wirklich schade, dass ihr Bruder Jonny nicht hier war, der hätte Paul jetzt verdroschen, auch wenn er zwei Jahre jünger war als der Cousin. Charlotte hätte Paul auch gern eine gescheuert, aber sie musste den Krug festhalten, außerdem war sie ein Mädchen und durfte sich nicht prügeln.
    In der Schlafkammer waren die Vorhänge noch zugezogen, aber durch den Spalt fiel ein Sonnenstrahl in den Raum hinein wie ein schmaler, goldener Schleier. Als Klara sich im Bett aufsetzte, fiel er direkt über ihr Gesicht, und sie musste blinzeln.
    » Ettje!«, rief Klara leise zum Bett der Schwester hinüber.
    » Psst!«, machte Charlotte und schüttelte den Kopf. » Lass sie ruhig schlafen.«
    Charlotte nahm die Waschschüssel von der Kommode und stellte sie auf den Boden, um leichter eingießen zu können. Dann musste sie Klara beim Aufstehen helfen. Das dicke Federbett lag bleischwer auf ihren Beinen, weil in der Nacht wieder alle Federn nach unten gerutscht waren. Ihre Cousine hatte ein wenig Mühe, sich auf den Boden zu knien, aber sie klagte nicht, sondern tauchte genau wie Charlotte den Lappen in die Waschschüssel, um sich den Schlaf aus dem Gesicht zu reiben. Auch Hände und Arme wurden mit warmem Wasser gesäubert, dann die Brust. Dazu musste man das Nachthemd aufknöpfen und herunterziehen, aber nicht bis über den Bauch, das wäre unschicklich gewesen. Alles, was unterhalb der Körpermitte war, durfte man auf keinen Fall mit dem nassen Lappen berühren, man sollte dort überhaupt so wenig wie möglich hinfassen. Nur die Füße mussten gewaschen werden, aber bloß bis zu den Knien hinauf. Einmal in der Woche wurden die Kinder gebadet, zuerst die Mädchen, dann die Knaben, damit das Badewasser gut ausgenutzt war. Doch nur die ganz kleinen Kinder waren dabei nackig, die älteren– auch Charlotte– behielten das Hemd an.
    Klaras Haut war hell, ihre Brust und die Arme erschienen Charlotte sehr durchsichtig und mager, aber sie waren ganz normal und nicht verwachsen wie ihr Bein. Ihr Gesicht war schmal, die Nase ein bisschen
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