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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Autoren: Gil Adamson
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die Ellbogen zwischen die ausgestreckten Beine. Sie blickt von der Zeitung hoch.
    »In der Nähe von Baffin Island sind siebzehn Menschen von der Fähre ins eisige Wasser gestürzt und haben alle überlebt.« Meinem Onkel fällt ihre Sitzhaltung auf. Er starrt sie lange an.
    »Das ist unnatürlich !«, platzt er schließlich heraus.
    Meine Mutter sieht auf. »Unnatürlich?«, fragt sie. »Also, ich würde eher von Glück reden.«
    Ich schlendere hinter das Haus in den Garten und betrachte die langen Beete mit den welkenden Blumen, die braunen Blätter der Rosen, die kahlen Stängel, die schweren rosa und gelben Blütenköpfe. Der Sommer schreitet voran, und ich gebe mir Mühe, nicht an die Schule zu denken, für mich eine so bedrohliche Aussicht wie ein Dauerplatz beim Zahnarzt. Eine Hummel brummt durch die Rosen, müht sich von Blüte zu Blüte, fliegt dann auf und schleppt sich zum nächsten Busch. Links bemerke ich eine zweite Hummel, dann noch eine, noch viele. Der Wind legt sich, und mit einem Mal höre ich Hunderte von Hummeln. Einen Augenblick lang sehe ich alles aufleben, alles in Bewegung kommen. Ich kann mir nicht helfen – ich liebe solche Momente. Einmal hatte ich eine Lehrerin in der Schule, Mrs. Vittie, die, wenn sie wütend wurde, gern mit Sachen um sich warf. Eine Weile rang sie um Geduld, dann wurde sie plötzlich puterrot, verlor die Beherrschung und schmiss etwas durch die Gegend. Einmal schleuderte sie zwei Tafelbürsten, ihre Schuhe und mehrere Bücher durchs Klassenzimmer. Die Kinder schrien und duckten sich. Erst hatten alle stocksteif dagesessen und auf die Explosion gewartet, im nächsten Moment war die ganze Klasse in Aufruhr.
    Heute sind wir den letzten Tag bei Castor, morgen fahren wir nach Hause. Mein Vater hat viel Zeit im Keller verbracht und das Haus neu verkabelt. Er erklärt mir, er sei bei seinem Bruder immer so angespannt und müsse sich deshalb eine Beschäftigung suchen. Es macht ihm Spaß, Dinge zu verändern, deshalb hat er die Glühbirnen an ganz andere Lichtschalter angeschlossen. Die Poollampen sind jetzt von der Küche aus zu schalten, das Flurlicht von einem der Gästezimmer aus. Seit letztem Jahr ist die Lampe im Bad ganz abgekoppelt, deshalb müssen wir alle im Dunkeln aufs Klo. Ich hatte noch nie Angst im Dunkeln, weil ich die winzigsten Bewegungen hören kann und weiß, wenn ich nicht allein bin. Aber meine Mutter leidet. Sie nimmt nachts immer den Hund mit. Sie spricht vom Klohäuschen, obwohl die Toilette doch im Haus ist.
    Onkel Castor schaut uns komisch an; er ist ganz griesgrämig geworden. Vermutlich fängt er schon an, uns zu vermissen, obwohl wir noch gar nicht weg sind, aber wenn man ihn fragte, würde er uns wahrscheinlich Schmarotzer schimpfen und behaupten, er sei froh, wenn er uns endlich los ist. Er steht draußen neben der Scheune und füttert das Pferd, striegelt es und kratzt ihm die Steine aus den Hufen. Dann geht er mit dem Hund zum See, wäscht ihn mit Babyshampoo und wirft Stöcke ins Wasser. Der Hund prescht ihnen hinterher, bis der Seifenschaum wieder ab ist. Es sieht aus, als machte Castor eine Bestandsaufnahme seiner Tiere. Das Pferd, die Hunde, die Katzen, die Kaninchen. Für die Gänse und Tauben interessiert er sich nicht besonders, trotzdem geht er sie inspizieren, schaut sie einfach an. Er beugt sich über eine Gans, die auf dem Rasen steht und zu ihm hochglotzt. Er schurrt mit den Füßen, und der Vogel weicht zurück. Castor starrt auf die Stelle, wo die Gans gestanden hat.
    Am Morgen, an dem wir abfahren sollen, komme ich in die Küche herunter und schaue aus dem Fenster über der Arbeitsfläche. Es ist feucht draußen, Nebel quillt zwischen den Bäumen hervor und zieht die gekieste Auffahrt herauf. Mir knurrt der Magen. Da sehe ich nach einer Weile Tante Netty am Waldrand stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Es sieht so aus, als wäre sie eben zwischen den Bäumen hervorgetreten, dabei ist sie wahrscheinlich die lange Zufahrt von der Straße heraufgekommen. Sie betrachtet das Haus eine Weile, dann steigt sie rasch die Steinstufen hoch und tritt durch die Tür. Kurz darauf höre ich Castor vor dem Schlafzimmer meines Vaters johlen und an die Tür hämmern, als wäre Weihnachten.
    Ich suche den Kühlschrank nach sofort Essbarem ab, dann begeistere ich mich für die Idee, etwas zu kochen. Vielleicht kann ich für Netty und meine Eltern Frühstück machen. Für Castor habe ich nie jemanden kochen sehen, deshalb komme ich gar nicht
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