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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Autoren: Gil Adamson
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Franzbranntwein, Schere, Magenmittel, ein kleines Päckchen muffige Kekse, ein Messer, Aspirin für Säuglinge, ein Kreuzworträtselbuch. Wir schießen Hals über Kopf auf den Äquator zu, als wollten wir die Ungewissheit hinter uns bringen und endlich anfangen zu verschmoren. Die heulenden und stampfenden Maschinen bringen den metallenen Schiffskörper zum Erzittern. Meine Mutter starrt mit schweißnasser Stirn auf das schwarze, wogende Wasser, auf die tiefen Täler, die Gipfel und die weißen Schaumschnörkel im Kielwasser. Sie steht bei Sonnenuntergang auf Deck, gedankenleer, die Notfalltasche in der schlaffen Hand, während hinter ihr die Geräusche und die bewegten Schatten eines Films durch die offene Salontür dringen. Leute schlendern schweigend über das Deck und verschwinden in den metallenen Treppenschächten. Irgendwo steigt ein kreischendes Lachen auf, was meine Mutter aber als heiseren Vogelschrei wahrnimmt. Der Chefsteward wankt mit aufgerollten Ärmeln vorbei.
    »Entschuldigen Sie bitte!«, setzt meine Mutter an, aber der Chefsteward ist schon in die Schale der sinkenden Sonne hineingelaufen, eine Schattenspielfigur, die vor loderndem Feuer zappelt.
    Mein Vater hat in Australien als Lehrer gearbeitet; das Angebot, ein Halbjahr lang kanadische Landeskunde zu unterrichten, wurde dann auf zwei Jahre ausgedehnt. So kämpfte er sich durch die Flure einer High School in Sydney, zog Landkarten von der Decke herunter und durchlöcherte sie mit einem Zeigestab, rezitierte Gedichte, sang mit dem kläglichen Chor und lieferte sich mit anderen Lehrern schmerzhafte Witzduelle. Da er keiner der Hiesigen war, betrachteten sie ihn als eine Art intelligenten Affen. Schließlich strudelt, wo er herkommt, das Wasser andersherum den Abfluss hinunter.
    Mein Vater lernte Folksongs auswendig, Sprichwörter und lange, heroische Bergarbeiterballaden mit Hunden und Dynamit in tragenden Rollen. Beuteltiere hält er insgeheim für eine perverse Laune der Natur. Er hörte den Ayers Rock, den roten Wüstenkoloss, im Regen zischen, ein so seltenes Ereignis, dass ihm keiner der Kollegen glauben wollte, als er davon erzählte. Er unternahm mit gelangweilten Führern Expeditionen ins Outback, neben sich im Jeep, halb ohnmächtig, meine Mutter; er aß gekochte Schlange, lag im Dunkeln wach und hörte das Glucksen der Nachtvögel. Er lauschte dem tiefen, unheimlichen Röcheln des Didgeridoos und dem vogelartigen Flattern des Schwirrholzes. Er feilte bis zur Perfektion an seinem australischen Akzent. Im Restaurant, im Schnellimbiss, beim Friseur oder auf der Bank lachte er schallend über Dinge, die kein anderer komisch fand. Er stand am Hafen von Sydney im kühlen Wind, über sich die Möwen, und starrte auf die grünen Längsstreifen des Schiffes, mit dem er schließlich nach Kanada würde zurückkehren müssen. Und er fragte sich, was in Zukunft wohl an diese Erfahrungen heranreichen könnte.
    Wir überqueren den Äquator. Auf dem Schiff greift der Hitzschlag um sich wie eine Epidemie. Wir fühlen uns wie John Glenn, als er beim Landungssturz zurück zur Erde durch die Atmosphäre glühte. Nachts flimmern die Lichter auf den Masten wie sprühende Funken, die Nieten in den metallenen Wänden und Böden scheinen sich zu lösen. Tagsüber regt sich auf den Decks niemand mehr. Kabinentüren stehen offen und lassen drinnen vage Umrisse zusammengesunkener Gestalten erkennen. Allgegenwärtig das an- und abschwellende Brummen der Maschinen. Die Treppenschächte dröhnen, der Salon steht leer, sogar das glorreiche Kasino ist verwaist bis auf ein betrunkenes Teenie-Pärchen und einen Hund, der platt unter dem Tisch liegt.
    Vor einigen Stunden hatte sich meine Mutter, während Dad tagträumend dalag, in diesem glutheißen Friedhof vom Bett erhoben wie ein triefendes Gespenst und war wütend aus der Kabine gewankt.
    »Entschuldigung!«, sagte sie zum leeren Deck. »Ist da jemand?«
    Der Kapitän habe gerade Besuch gehabt, als sie bei ihm hereinplatzte, erzählte sie später. Es seien die beiden Frauen da gewesen, die seit drei Tagen in eine diffizile private Angelegenheit mit ihm verwickelt waren. Sie seien alle drei in Unterwäsche dagesessen und hätten Karten gespielt. Meine Mutter hatte ihre Notfalltasche bei sich und schwenkte sie drohend in Richtung Kapitän.
    »Ich war beim Obersteward oder Chefsteward oder wie Sie den dummen Menschen nennen! Und beim Maschinisten! Alle schicken mich von einem zum anderen.«
    »Madam …«
    »Ich habe
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