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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Autoren: Gil Adamson
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Kinder, um die ich mich kümmern muss!« Einen Moment lang vergaß sie, dass sie nur eines hatte.
    »Madam …« Der Kapitän erhob sich und wischte seine Hand ab, bevor er sie meiner Mutter entgegenstreckte. Sie schenkte weder seiner Hand, noch seiner grauen Unterwäsche, noch dem Raum Beachtung, sondern ratterte weiter wie batteriebetrieben.
    »Ich habe diesen Idioten aus E-12 dazu zu bringen versucht, herauszukommen und mir zu helfen. Mein Kind ist am Verglühen. Jetzt bin ich gezwungen, mich an Sie zu wenden. Das ist das schäbigste, unerträglichste Schiff, auf dem ich je gewesen bin!« Das sagte sie, als reiste sie von Berufs wegen ständig auf Schiffen herum. Die beiden Frauen waren in den schummrigen Hintergrund der riesigen Suite verschwunden, vielleicht in eine Kammer, ein Schlafzimmer oder ein Bad. Sie waren einfach weg, wie verdunstet. Meine Mutter kniff die Augen zusammen.
    »Madam«, versuchte es der Kapitän noch einmal, »wie kann ich Ihnen helfen?«
    Meine Mutter sah ihn mit schweißglitschigem Gesicht an. »Wenn ich nicht binnen vier Minuten einen Ventilator in meine Kabine bekomme, schleppe ich meine Matratze auf Deck!«
    Jetzt surrt der Ventilator vor sich hin, frisch an die Metallwand genietet. Ich stehe neben meiner Mutter, blockiere den Luftstrom und bohre ihr mit dem Finger ins Ohr. Sie wischt mich weg. Ich beuge mich über sie, zwicke ein Auge zu und starre mit dem anderen in den dunkelbraunen Tümpel ihres Auges.
    »Du bist ganz voll Schweiß«, sage ich, und sie stöhnt. Sie liegt auf dem ungemachten Bett und lässt ein Bein zu Boden hängen, als mein Vater mit dem Arzt in der Tür erscheint. Wie sich herausstellt, hat meine Mutter Ruhr und vierzig Grad Fieber.
    »Ach so«, sagt sie, »deswegen sehe ich diese Dinger«, und deutet ins Nichts.
    Am Äquator findet das Weihnachtsessen statt, und wir gleiten langsam nach Lee hinüber, genießen das herrliche Nachlassen der Hitze. In angenehmer Übelkeit schaukeln wir Richtung Norden, Richtung Heimat; den ganzen Tag schon bestürmen die Düfte, die aus der Küche dringen, meine Eltern mit Erinnerungen. Ich dagegen habe noch nie Schnee gesehen. Ich habe im australischen Sydney sprechen gelernt. Plötzlich reden alle meine Freunde unverständlicherweise mit einem kanadischen Akzent. Sie sagen »Hi« statt »G’day«. Mein Vater fragt mich, was ich zu Weihnachten möchte, eine seltsame Frage, weil er ja nicht losgehen und es kaufen kann. Ich wünsche mir einen Wasserball.
    In meiner Zukunft gibt es keine Wasserbälle, sondern eine Plastikscheibe, die man als Schlitten benutzen kann. Und einen qualvoll steifen Schneeanzug – eine ganze Welt voller Kinder, die in qualvoll steifen Schneeanzügen herumwatscheln. Eine Welt voller Rodel, Schnee, Eismatsch, in den Halsausschnitt gestopfter Schneebälle, durchnässter Hosenknie, dazu das sst-sst der Nylon-Schneehosen, das einen zum Wahnsinn treibt; da gibt es würgende Wollschals, die meine Mutter so festzurrt, dass sie sich unmöglich lockern lassen, stinkende Garderoben, kalte Füße, bunt wie Eis am Stiel, und stechende Schmerzen, wenn sie auftauen; es gibt blaugraue, reglose Vormittage, wenn der Schnee den Garten ausradiert, wenn Müll vom Wind angeweht wird, die Mondoberfläche durchbricht und ins Unsichtbare versinkt. Ich werde keinen Wasserball bekommen.
    Meiner Mutter geht es jetzt besser; sie versteckt sich in der Kabine, falls ein Ober- oder Chefsteward vorbeiläuft oder der Kapitän auf seinen nächtlichen Wanderungen mit seinen Frauen vorbeikommt. Auf Deck ist nur der lange, flache Hund, der unter Liegestühle kriecht und Krümel und verschüttete Limonade vom lackierten Metallboden leckt. Ich folge ihm und tätschle ihm den Rücken mit den borstigen Haaren; er ignoriert mich. Zusammen kämmen wir gründlich und systematisch das Schiff ab, kontrollieren alle Winkel und flitzen an bestimmten Türen vorbei, wo vielleicht ein Schuh zornig nach uns treten oder uns ein Buch nachgeworfen werden könnte.
    So sehe ich Menschen, die ich noch nie gesehen habe. Frauen mit braunen Beinen, die neben dem winzigen, kastenförmigen Swimmingpool die Träger ihres Badeanzugs schnalzen lassen. Kleine Männer, die in Räumen voll scheppernder Röhren, Messgeräten und Ventilen schwitzen. Küchenjungen, die sich aufs Deck hinaufstehlen, kühle Luft durch die Kleider wehen lassen, rauchen, quatschen und ihre glühenden Kippen in den Ozean schnippen.
    Ich folge meinem Hund, bis Mum kommt, außer sich vor Panik,
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