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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einen Schritt vom Fenster zurück und sah mich instinktiv sichernd im Zimmer um. Natürlich war ich allein, doch die Schatten schien abermals um eine Spur tiefer und irgendwie massiger geworden zu sein.
    Die Glocke schlug zum vierten Mal an und irgendetwas Verlockendes war an diesem Laut, etwas, das ich zu deutlich spürte, als dass ich es mir nur einbildete. Ich musste herausfinden, was dort draußen vor sich ging. Rasch ging ich zum Bett zurück, klappte meinen Koffer auf und suchte das ordentlich zusammengefaltete Regencape heraus, das Mary mir (meine Proteste missachtend) vorsorglich eingepackt hatte. Ich warf es über, verließ das Zimmer und zögerte vor der Tür zu Cohens Unterkunft eine Sekunde. Meine Vernunft riet mir, ihn zu wecken und von meiner Beobachtung zu unterrichten, aber alle meine Instinkte sprachen dagegen. Außerdem war ich mittlerweile sozusagen darauf abonniert, das Unvernünftige zu tun, und so ging ich weiter und schlich die Treppe hinunter, so leise es ging. Das Heulen des Sturmes verschluckte das Knarren der uralten Stufen und ich erreichte unbehelligt das Erdgeschoss und verließ einen Augenblick später das Haus.
    Zum Teil wenigstens. Der Wind schlug mir mit solcher Macht ins Gesicht, dass ich einen halben Schritt zurücktaumelte und schützend die Hände hob. Es war unglaublich kalt. Die Temperaturen mussten weit unter den Gefrierpunkt gefallen sein und der Sturm peitschte die Regenschleier fast waagerecht über das Land. Mit eingezogenem Kopf und unentwegt blinzelnd, weil mir die Regentropfen wie winzige Nadeln ins Gesicht und in die Augen stachen, wandte ich mich nach Norden und erkämpfte mir mühsam und schräg gegen den Sturm gelehnt meinen Weg zum Ende der Stadt. Ich sah keinen Menschen. In keinem einzigen Haus brannte Licht und doch fühlte ich, dass ich nicht allein war. Etwas war hier. Eine Präsenz, die nicht menschlich, mir aber trotzdem auf furchtbare Weise vertraut war. Die GROSSEN ALTEN. Ich spürte ihre Nähe, die ihre oder die ihrer Helfer, das vermochte ich nicht genau zu sagen, aber irgendetwas Nicht-Menschliches war hier.
    Ich konnte immer noch nicht sehr viel besser sehen als vorhin. Selbst die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite schienen wenig mehr als Schemen, die sich im Wüten des Sturmes allmählich aufzulösen begannen. Das Wasser stand fast knöchelhoch auf der Straße und das Heulen und Wimmern, das ich hörte, erinnerte mich viel weniger an das des Sturmes, als vielmehr an das Wehklagen gepeinigter Seelen, die für alle Ewigkeiten in den tiefsten Schlünden der Hölle gefangen waren.
    Ich vernahm das Läuten der Glocke noch fünf oder sechs Mal, während ich mich der verfallenen Kirche näherte, und endlich, als ich sie fast erreicht hatte, gewahrte ich einen Schatten.
    Rasch wich ich ein Stück zur Seite und in den Schutz einer Hausecke zurück, hob die Hand über die Augen und spähte gebannt in das Toben des Regens und der Schatten vor mir.
    Es dauerte lange, bis sich die Bewegung wiederholte. Ich wollte schon aufgeben und mich mit dem Gedanken abfinden, mich getäuscht zu haben, aber dann sah ich es erneut: ein rasches, kantiges Huschen, wie von einer Gestalt, die mit abrupten Bewegungen und immer wieder Halt machend, in die gleiche Richtung lief wie ich. Ich konnte sie nicht erkennen, aber sie war sehr klein.
    Mit klopfendem Herzen wartete ich. Die Gestalt tauchte nicht wieder auf, aber nur einen Augenblick später erschien dort, wo ich selbst gerade entlanggegangen war, der Umriss eines zweiten Kindes. Ich presste mich dichter gegen die Hauswand und hielt aus einem albernen Impuls heraus sogar den Atem an, obgleich das Toben des Sturmes mittlerweile eine Lautstärke erreicht hatte, dass ich selbst eine Kanone hätte abschießen können, ohne dadurch aufzufallen. Der Junge – ich erkannte in ihm jetzt eines der Kinder wieder, die zusammen mit Joshua am Nachmittag auf Hennessey gewartet hatten – bewegte sich unbeschadet des Sturmes und der eisigen Kälte ruhig wie ein Spaziergänger dahin. Er blinzelte nicht einmal, obwohl die Regentropfen schmerzhaft in sein Gesicht stechen mussten. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Kirchenruine, trat über die unkrautüberwucherte Umfriedung und verschwand in dem Durcheinander von Trümmern und Schatten dahinter.
    Er blieb nicht der Einzige. Nach und nach bewegte sich ein gutes Dutzend Jungen und Mädchen an meinem Versteck vorbei, einige so dicht, dass sie mich eigentlich hätten sehen
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