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Hexenzauber für den Hausgebrauch

Hexenzauber für den Hausgebrauch

Titel: Hexenzauber für den Hausgebrauch
Autoren: Verena Basilissa
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gekommen?“ Der Mann schickte sich an, die Leiter herabzuklettern. Ich kam mir sehr lächerlich vor in meiner Hilflosigkeit. Eine Bewegung an meinem Bein ließ mich zusammenfahren. Ein riesiger, graugetigerter Straßenkater schob sich an mir vorbei. Für einen Moment hob er den Kopf und sah mich mit bernsteingelben Augen an, als wollte er sich mein Gesicht für immer einprägen.
    „Ach, Sie haben eine Katze“, bemerkte ich verlegen und war insgeheim froh, dass das Thema Lebensliste für einen Moment ausgesetzt war.
    „Nein“, sagte der Mann, „sie taucht ab und zu hier auf, um nachzusehen, ob alles noch an seinem Platz ist. Zu welchem Ergebnis sind Sie also gekommen?“
    Ich seufzte hörbar, legte meine Liste auf den Tisch und setzte mich. „Ich habe mich mit meiner Vergangenheit beschäftigt“, wich ich aus, „und um ehrlich zu sein, ich muss zugeben, dass ich alles falsch gemacht habe.“
    „Aus heutiger Sicht“, vollendete der Mann den Satz und setzte sich ebenfalls. „Es ist sehr leicht, im Nachhinein eine Situation zu beurteilen. Die Kunst des Lebens besteht jedoch darin, im Voraus urteilsfähig und dadurch im Entschluss und im Ergebnis einwandfrei zu sein.“
    Die Katze war auf den Tisch gesprungen und stolzierte langsam zwischen den Büchern hin und her. Durch ihre Größe wirkte sie beinahe bedrohlich. „Hat sie einen Namen?“, erkundigte ich mich und streckte vorsichtig meine Hand nach ihr aus.
    „Nein“, sagte der Mann. „Was einem nicht gehört, sollte man nicht dadurch an sich zu binden versuchen, dass man ihm einen Namen gibt. Die Katze meint nicht mich, wenn sie hier auftaucht. Sie kommt, um ihr Revier zu inspizieren und abzusichern. Sie weiß das, und ich weiß es auch. Warum sollte ich ihr also einen Namen geben?“
    Ich überlegte einen Moment. „Heißt das, dass Sie auch meinen Namen nicht wissen wollen?“
    Der Mann sah mich an und lächelte. „Möchten Sie denn meinen wissen?“
    „Ja“, antwortete ich schnell.
    „Warum?“
    Die Frage kam fast gleichzeitig mit meinem Ja. „Weil ich sonst nicht weiß, wie ich Sie ansprechen soll“, parierte ich.
    „Ich denke, Sie wollen etwas lernen.“ Es klang eher wie eine Feststellung als wie eine Frage.
    „Ja schon“, gab ich zu und versuchte, die Katze, die mir nun fast die Sicht auf mein Gegenüber versperrte, von mir wegzuschieben. Sie ließ es geschehen.
    „Dann brauchen Sie mich nicht anzusprechen, sondern nur zuzuhören, und um mich zu verstehen, brauchen Sie meinen Namen nicht zu kennen. Sie benötigen nur Ihre Konzentration und Ihren guten Willen.“
    Ein unbehagliches Gefühl stieg in mir hoch.
    „Ich bin es gewohnt, die Menschen, mit denen ich umgehe, mit Namen anzusprechen.“
    Er nickte und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
    „Wie viele Dinge auf Ihrer Liste, die Sie anders machen würden, sind durch Gewohnheit entstanden?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Hier geht es wohl nicht um Gewohnheiten, sondern schlichtweg um Umgangsformen.“
    „Umgangsformen“, intonierte der Mann und ließ die Ellbogen abrutschen, bis seine Handflächen auf dem Tisch zu liegen kamen. „Hat man Ihnen beigebracht, dass man sich vorzustellen und gleichzeitig für den Namen des anderen zu interessieren hat?“
    „Ja natürlich“, gab ich zurück und hob die Katze hoch, um sie auf den Boden zu setzen. Sie war fast so schwer wie die Folianten, die ich drei Tage zuvor in der Hand gehabt hatte.
    „Haben Sie die Namen der anderen immer interessiert?“, bohrte der Namenlose weiter.
    „Nein, sicher nicht“, gab ich zu. „Aber es würde sich wohl nicht schicken, das zu sagen.“
    „Warum?“ Der Mann blickte unschuldig.
    „Weil ich damit die anderen beleidigt hätte.“ Ich bemerkte, dass mich das Thema zu langweilen anfing.
    „Das ist interessant“, bemerkte der Mann. „Sie heucheln lieber, als dass Sie die Wahrheit sagen.“
    „Also bitte“, fuhr ich hoch. „Was hat denn Höflichkeit mit Heuchelei zu tun?“
    „Sehr viel“, meinte der Mann. „Denn sehr oft wird die sogenannte Höflichkeit mit dem Weg des geringsten Widerstandes gleichgesetzt.“ Er sah mich durchdringend an. „Nehmen Sie also nochmals Ihre Liste mit nach Hause, und versuchen Sie zu klären, an wie vielen Punkten Ihres Lebens Sie eine Fehlentscheidung getroffen haben, nur weil Sie versucht haben, höflich zu sein. Das wird Ihre erste wirkliche Aufgabe sein.“
    Ich nahm die Liste und sah sie verwirrt an. „Ja, aber …“, begann ich, wurde aber sofort
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