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Hexenzauber für den Hausgebrauch

Hexenzauber für den Hausgebrauch

Titel: Hexenzauber für den Hausgebrauch
Autoren: Verena Basilissa
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Zusammenhang erkennen ließen. Zuletzt entschloss ich mich, in meiner Kindheit zu beginnen und der Erinnerung freien Lauf zu lassen. Der Hochzeitstag meiner Großeltern tauchte wieder vor mir auf. Ich sollte ein Gedicht aufsagen. Man hatte es mir lange vorher gegeben. Doch ich hatte es immer wieder beiseitegelegt. Ich lernte nicht gerne Gedichte. Ich lernte überhaupt nicht gerne. Und so schob ich diese lästige Pflicht hinaus bis zur letzten Minute. Nein, ich blieb nicht stecken. Ich blamierte mich nicht, aber die Angst, die mir wie eine Faust damals im Magen gesessen hatte, die würde ich mir gerne erspart haben, denn es war die gleiche Angst, die mich mit dem Geschmack des möglichen Versagens bei allen Belastungen und Prüfungen meines späteren Lebens begleitet hat. Damals hatte sie ihren Anfang genommen.
    Mein zwölftes Lebensjahr fiel mir wieder ein. Meine Tante hatte mir angeboten, nach England zu kommen und dort eine Schule zu besuchen. Wie und wer würde ich heute sein, hätte ich damals zugestimmt?
    Ich saß noch sehr lange an diesem Abend, und zuletzt erschien mir mein ganzes Leben wie eine Kette verpasster Möglichkeiten. Ärger und Schuldgefühle stiegen in mir hoch, und schließlich schob ich das Blatt beiseite und ging zu Bett. Ich schlief nicht besonders gut in dieser Nacht. Ich hatte wirre Träume, in denen ich durch endlose Gänge lief, die an verschlossenen Türen endeten. Am nächsten Tag beschloss ich, mir mit dem Erstellen der Liste Zeit zu lassen. Doch wie unter Zwang fand ich mich am Abend wieder an meinem Schreibtisch, und wieder begann dasselbe Spiel. Doch diesmal klärten sich meine Gedanken. Ich sah auch die Vorteile, ich sah auch die gewonnenen Kämpfe mit mir selbst, aber auch die Gnade einer unsichtbar wirkenden Hand, die immer dort eingegriffen hatte, wo ich selber blind oder unfähig gewesen war. Am Ende dieses Tages warf ich das Blatt weg, mit allem, was darauf bereits geschrieben war, und begann die Liste von neuem. Ich hatte begriffen.
    Die erste Stufe: Von Gewohnheiten und dem Weg des geringsten Widerstandes
    Es dauerte drei Tage, bis ich mit meiner Liste zufrieden war und mich entschloss, meine geheimnisvolle Bibliothek wieder aufzusuchen. Wieder war die Tür nicht verschlossen, als ich vor der eigenartigen Wohnung meiner Zufallsbekanntschaft angekommen war, und wieder fand sich der Mann, dessen Namen ich nicht einmal kannte, hoch oben auf seiner Leiter. „Guten Tag“, sagte ich voller Erwartung.
    Der Mann nickte wie geistesabwesend, murmelte etwas Unverständliches und blätterte weiter in einem Buch.
    „Ich habe die Liste mitgebracht“, fuhr ich nach einer Weile des Schweigens, in der ich den Mann genau beobachtete, fort. „Sie ist ziemlich lang geworden.“
    „Welche Liste?“, drang es von oben an mein Ohr.
    „Aber Sie haben mir doch aufgetragen, eine Liste von all dem aufzustellen, was ich anders machen würde, wenn …“
    „Ach, diese Liste meinen Sie“, kam es unbeteiligt vom Ende der Leiter, und wieder wurden Seiten geblättert, begleitet von diesem eigenartigen Murmeln, das mehr und mehr einem fremdartigen, fernen Gesang ähnelte.
    „Soll ich sie Ihnen vorlesen?“, versuchte ich, mich wieder bemerkbar zu machen.
    „Warum?“, verwandelte sich der eigenartige Singsang für einen Moment in ein verständliches Wort.
    Ich kam mir lächerlich vor, und wie immer in solchen Situationen des scheinbaren Abgelehntwerdens reagierte ich gereizt. „Aber Sie waren es doch, der diese dämliche Liste von mir wollte?“
    „Nein“, widersprach der Mann. „Sie wollten von mir wissen, wie man die Dimensionen des Schicksals zu durchschauen lernt, und ich sagte, dass ich Ihnen vielleicht dabei helfen könnte.“
    Ich blickte ratlos auf meine Liste, die mir mit einem Mal wie eine Anklageschrift gegen mich selbst vorkam. „Interessiert es Sie überhaupt nicht, welche Gedanken ich mir drei Tage lang gemacht habe?“, bemühte ich mich, sein Interesse doch noch zu wecken.
    „Nein“, sagte der Mann erneut und unterstrich die Endgültigkeit seiner Aussage damit, dass er sein Buch mit einem Knall zuklappte. Ich wandte mich zum Gehen. Sichtlich war ich an diesem Orte heute nicht willkommen.
    „Und zu welchem Ergebnis sind Sie gelangt?“, wurde mein Abgang unterbrochen.
    „Welches Ergebnis?“, fragte ich zurück und hörte, wie meine Gereiztheit sich auf meine Stimme übertragen hatte.
    „Sie haben drei Tage lang über Ihr Leben nachgedacht und sind zu keinem Ergebnis
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