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Hexenbräute

Hexenbräute

Titel: Hexenbräute
Autoren: Jason Dark
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drehte er ihr nicht den Kopf zu. Ein Teil von ihm schien sie mit einer gewissen Verachtung strafen zu wollen.
    »Du kommst spät!«
    Abigail sagte nichts. Sie schaute ihn an. Von ihrem Standort aus sah sie sein Profil. Wie immer sah er am Kopf aus wie ein aufgeblasener roter Ballon. Da er mehr im Dunkeln saß wie ein Raubtier, das auf seine Beute lauert, ahnte sie die Farbe mehr, als dass sie sie sah. Aber sie kannte ihn. Und auch sein Haar, eine wilde braune Lockenmähne, die auch mit einem Kamm nicht zu bändigen war.
    »Wir haben keine Uhrzeit vereinbart!«
    »Was sagst du?«, schrie Shuster. Seine Stimme hallte bis in die letzte Ecke des Zuschauerraums hinein. »Ich habe sofort gesagt, verdammt!«
    »Es kam noch ein Telefonat für mich an.«
    »Scheiße. In diesem Theater werden die verdammten Handys ausgeschaltet!«
    »Es war wichtig!«
    Noch immer drehte sich Shuster auf seinem Schemelbein nicht um.
    »Hier ist nur wichtig, was ich sage!«
    »Ich denke, da irrst du dich, Shuster!«
    Der Regisseur tat nichts. Es war sehr selten, dass er auf eine Bemerkung nicht reagierte. Jetzt war er sogar zusammengezuckt. Derart scharf widersprochen hatte ihm in der letzten Zeit noch niemand.
    »Was soll das heißen?«
    Abigail lächelte. Plötzlich konnte der cholerische Shuster sogar flüstern. »Ich werde es dir gleich beweisen, mein Freund. Du hast doch immer von der Hölle gesprochen, wenn du etwas Besonderes auf die Bühne bringen wolltest. Ein höllisch gutes Stück. Und jetzt kann ich dir versprechen, dass du bald dem Teufel gegenüberstehen wirst. Da kannst du dann deine Arbeit fortsetzen.«
    Shuster begriff und verstand nichts. Er stöhnte. Er lachte, und erst dann drehte er sich langsam nach rechts. Auch stand er noch nicht auf, was Abigail nicht störte. Sie hatte die rechte Hand in die Tasche ihres Gewands geschoben. Dort umklammerten ihre Finger die beiden Griffe einer Stoffschere, die sie auf dem Weg zur Bühne vom Arbeitsplatz einer Garderobiere mitgenommen hatte. Das Gerät war sehr schwer, aber auch scharf und spitz genug, um einen Menschen vom Leben in den Tod zu befördern.
    Der Regisseur sah die Schauspielerin wie einen grauen Schatten auf der Bühne stehen. Er schüttelte den Kopf und fragte: »Bist du eigentlich wahnsinnig?«
    »Nein, ich bestimmt nicht.«
    »Was soll der Scheiß?« Er deutete auf den Thron. »Ich will, dass du dort Platz nimmst und deine Rolle durchziehst. Ist das klar, verdammt noch mal?«
    Abigail atmete tief durch. Sie zitterte. Nicht vor Furcht wie sonst, nein, jetzt steckte in ihr eine wisse Erwartung. Sie hätte es getan. Vor einer Stunde noch. Nun war alles anders geworden. Es gab nicht mehr die objektive Normalität, sondern nur noch ihre subjektive. Und die sollte besonders sichtbar werden, wenn das Blut floss.
    »Steh auf, Shuster!«
    Der Befehl war ihr wie von selbst über die Lippen gekommen. Shuster reagierte nicht in ihrem Sinne, sondern recht tölpelhaft.
    »Hä?«
    »Hoch mit dir!«
    »Was soll das?«, schrie er.
    »Ab jetzt habe ich die Regie übernommen, mein Freund. Du bist draußen, und du wirst auch nicht mehr reinkommen, das kann ich dir schwören. Es ist vorbei...«
    Shuster hatte zugehört. Er war benommen. Auch überrascht. So ließ er die Frau erst ausreden, bevor er sich bewegte. Er drehte sich nach rechts und stemmte sich in die Höhe. Dabei blieb der Sitzschemel an seinem Hintern kleben.
    Genau in diesem Augenblick ging Abigail Miller auf ihn zu. Sie schlenderte. Ihr Vorhaben verbarg sie hinter dem Vorhang der Normalität. Nichts sollte auf das hindeuten, was sie wollte. Nur die rechte Hand steckte weiterhin in der Tasche.
    Der verdammte Thron interessierte sie nicht mehr. Überhaupt hatte sie schon den großen Schnitt gemacht. So wie jetzt würde sie ihr Leben nicht mehr weiterführen. Sie spürte auch den gewaltigen Fluss der Sicherheit in sich. Er strömte bis in ihren Kopf hinein. Er machte sie glücklich, sodass sie den Eindruck hatte, auf Wolken zu schweben. Ihre Augen blitzten, und sie dachte daran, dass sie sich auf einer Bühne befand. Wie viele Menschen waren auf den Brettern der Welt schon einen tragischen Tod gestorben. Das würde heute wieder so sein. Allerdings mit einem Unterschied. Diesmal würde der Tod echt sein.
    Daran glaubte Shuster nicht. Er war Menschenkenner genug, um etwas anderes festzustellen. Er wusste plötzlich, dass sich die Verhältnisse verschoben hatten. Dazu brauchte er nur einen Blick auf Abigail Miller zu werfen. Sie sah
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