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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Autoren: Herta Müller
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sehr stolz ist. Obwohl die Zärtlichkeit am Mittag die Wege glatt macht für den Suff am Abend, bin ich darauf angewiesen, und es gefällt mir nicht, wie ich sie brauche.
    Der Major Albu sagt: Man sieht, was du denkst, es hat keinen Sinn, zu leugnen, wir verlieren nur Zeit. Ich, nicht wir, er ist doch sowieso im Dienst. Er schiebt den Ärmel hoch und sieht nach der Uhr. Die Zeit, sie steht dort drauf, aber nicht, was ich denk. Wenn Paul nicht sieht, was ich denke, sieht er es schon längst nicht.
    Paul schläft an der Wand, und ich an der Bettkante vorne, weil ich öfter nicht schlafen kann. Dennoch sagt er nach dem Aufwachen immer wieder:
    Du hast in der Mitte gelegen und mich an die Wand gedrückt.
    Darauf sage ich:
    Das kann nicht sein, vorne mein Platz war so schmal wie die Wäscheleine, in der Mitte warst du.
    Einer von uns könnte im Bett, der andere auf dem Sofa schlafen. Wir haben es probiert. Eine Nacht legte ich mich aufs Sofa und die nächste Paul. Beide Nächte habe ich mich nur hin und her gedreht. Mein Kopf hat Gedanken gemahlen und gegen Morgen im Halbschlaf schlechte Träume gehabt. Zwei Nächte voll mit schlechten Träumen, die hintereinander aufgefädelt den ganzen Tag nach mir griffen. Als ich auf dem Sofa lag, hat mein erster Mann den Koffer auf die Flußbrücke gestellt und mich am Nacken gepackt und schallend gelacht. Dann aufs Wasser geschaut und das Lied gepfiffen, in dem die Liebe zerbricht und das Flußwasser schwarz wie Tinte wird. Es war nicht wie Tinte, ich hab es gesehen und im Wasser drin sein Gesicht, steil und verkehrt bis auf den Grund, wo der Kies lag. Dann hat ein Schimmel unter dichten Bäumen Aprikosen gefressen. Bei jeder Aprikose den Kopf gehoben und den Stein ausgespuckt wie ein Mensch. Und als ich allein im Bett lag, hat mir jemand von hinten an die Schulter gefaßt und gesagt:
    Schau dich nicht um, ich bin nicht da.
    Ich habe den Kopf nicht gedreht, nur aus den Augenwinkeln geschielt. Lillis Finger faßten mich an, ihre Stimme war eine Männerstimme, also war sie es nicht. Ich hob meine Hand, um sie zu berühren. Da sagte die Stimme:
    Was man nicht sieht, faßt man nicht an.
    Die Finger habe ich gesehen, es waren ihre, nur hatte jemand anders sie genommen. Den sah ich nicht. Und in dem nächsten Traum hat mein Opa einen eingeschneiten Hortensienstrauch geschoren und mich zu sich gerufen: Komm mal her, ich hab da ein Lamm.
    Der Schnee fiel ihm auf die Hose, die Schere schnitt die frostbraun gefleckten Blüten ab. Ich sagte:
    Das ist doch kein Lamm.
    Ein Mensch ist es auch nicht, sagte er.
    Seine Finger waren klamm und konnten die Schere nur langsam öffnen und schließen. Da war ich mir nicht sicher, ob die Schere quietscht oder die Hand. Ich warf die Schere in den Schnee. Sie versank, man sah gar nicht, wohin sie gefallen war. Er suchte den ganzen Hof ab mit der Nase dicht überm Schnee. Neben dem Gartentor trat ich ihm auf die Hände, damit er die Nase hebt und nicht zum Tor hinaus, die ganze weiße Straße absucht. Ich sagte:
    Hör doch auf, das Lamm ist erfroren und die Wolle im Frost verbrannt.
    Am Gartenzaun stand noch eine Hortensie, die kahlgeschoren war. Ich zeigte hinüber:
    Was ist mit der.
    Das ist die Schlimmste, sagte er, sie kriegt im Frühjahr Junge, das geht doch nicht.
    Nach der zweiten Nacht meinte Paul am Morgen: Wenn man einander stört, dann hat man jemand. Nur im Sarg schläft man allein, das kommt noch früh genug. Wir sollten in der Nacht zusammen bleiben. Wer weiß, was er geträumt und gleich vergessen hat.
    Er sprach vom Schlafen, nicht vom Träumen. Heute morgen um halb fünf sah ich Paul im grauen Licht schlafen, ein verzogenes Gesicht mit Doppelkinn. Und auf der Ladenstraße unten wurde geflucht und laut gelacht in aller Frühe. Lilli sagte:
    Flüche treiben das Böse aus.
    Trottel, nimm den Fuß weg. Bück dich, oder hast du Scheiße in den Schuhen. Mach die Flatterohren auf, dann hörst du, aber nicht wegfliegen bei dem Wind. Laß die Frisur, noch sind wir beim Abladen. Eine Frau gluckste kurze, heisere Töne wie ein Huhn. Eine Wagentür polterte. Faß an, blöder Hund, wenn du ausruhen willst, geh ins Sanatorium.
    Pauls Kleider lagen auf dem Boden. Im Spiegel der Schranktür stand der heutige Tag, und an dem bin ich bestellt. Da stand ich auf, den rechten Fuß zuerst auf den Boden, wie immer, wenn ich bestellt bin. Weiß ich, ob ich daran glaube, aber verkehrt sein kann es nicht.
    Ich wüßte gern, ob bei anderen Leuten das Hirn für den
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