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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Autoren: Herta Müller
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genommen und mit der Zungenspitze über den Zähnen zerrieben. Aber dieses Salz war fein wie Staub. Den ersten Kipfel hat der Fahrer gegessen und dann aus der Flasche getrunken, hoffentlich Wasser. Über die Kreuzung fährt ein offener Lastwagen, es sind Schafe drauf So dicht stehen sie auf dem Anhänger, daß sie vom Schütteln nicht umfallen können. Keine Köpfe, keine Bäuche, nur schwarze und weiße Wolle. Erst jetzt an der Biegung fällt mir zwischen ihnen ein Hundekopf auf Und vorne neben dem Fahrer ein Mann, mit dem kleinen tannengrünen Gebirgshut, den die Schafhüter tragen. Die Schafherde wechselt wahrscheinlich die Weide, für das Schlachthaus braucht man keinen Hund.
     
     
    Manche Sachen werden erst durchs Reden schlimm. Ich hab mir angewöhnt, rechtzeitig zu schweigen, und doch ist es meist zu spät, weil ich mich eine Weile behaupten will. Immer, wenn Paul und ich nicht verstehen, was andere quält, wächst uns der Streit über den Kopf Er wächst schnell, und jedes Wort verlangt eines, das noch mehr poltert. Ich glaube, wir sehen in dem Trinker das, was uns selbst am meisten quält. Dies ist, obwohl wir uns lieben, nicht dasselbe. Das Trinken quält Paul mehr, als daß ich bestellt werde. An den Tagen trinkt er am meisten, und gerade dann hab ich kein Recht, es ihm vorzuwerfen, auch wenn mich, daß er besoffen ist, mehr quält als ...
    Auch mein erster Mann war tätowiert. Er kam aus der Armee nach Hause und trug auf der Brust eine durch ein Herz gefädelte Rose. Unterm Rosenstiel meinen Namen. Dennoch hab ich ihn verlassen.
    Weshalb hast du deine Haut verschandelt, diese Herzrose paßt höchstens auf deinen Grabstein.
    Weil die Tage lang waren und ich an dich dachte, sagte er, und alle es taten. Außer den Hosenscheißern, von denen gab es auch ein paar wie überall.
    Ich wollte nicht zu einem anderen, wie er glaubte, aber weg von ihm. Und er wollte eine Quittung kriegen, auf der alle Gründe draufstehen. Ich konnte ihm keinen einzigen sagen.
    Hast du dich in mir getäuscht, meinte er, oder hab ich mich verändert.
    Nein, wie wir uns gefunden hatten, so waren wir beide geblieben. Liebe tritt nicht auf der Stelle, unsere tat es seit zweieinhalb Jahren. Er sah mich an, und als von mir kein Ton kam, sagte er:
    Du bist eine von denen, die hie und da Prügel verlangen, und ich war nicht imstande dazu.
    Er meinte es ernst, weil er wußte, daß er die Hand nie gegen mich heben könnte. Ich glaubte das auch. Bis zu dem Tag auf der Brücke konnte er nicht einmal vor Wut die Tür zuknallen.
    Es war schon halb acht am Abend. Er bat mich, mit ihm noch schnell, bevor die Läden schließen, einen Koffer kaufen zu gehen. Er wollte am nächsten Morgen für zwei Wochen ins Gebirge fahren. Ich sollte ihn in dieser Zeit vermissen. Zwei Wochen wären nichts gewesen, nicht einmal unsere zweieinhalb Jahre sind viel.
    Wir gingen aus dem Laden schweigend durch die Stadt. Er trug den neuen Koffer. Kurz vor Ladenschluß hatte die Verkäuferin den Koffer nicht mehr ausgeräumt, er war vollgestopft mit Papier, am Griff hing das Preisschild. Am Tag davor war ein Wolkenbruch über die Stadt gegangen, im Fluß riß lehmiges Hochwasser an den Weiden. Mitten auf der Brücke blieb er stehen und drückte mir die Finger in den Arm. Er knetete mir das Fleisch bis zum Knochen, daß es mich überlief, und sagte:
    Schau wieviel Wasser. Wenn ich aus dem Gebirge komm und du mich verläßt, spring ich da runter.
    Der Koffer hing zwischen uns, und hinter seinen Schultern Wasser mit Ästen und dreckigem Schaum. Ich schrie:
    Spring jetzt sofort vor meinen Augen, dann mußt du nicht erst ins Gebirge.
    Ich holte Luft und neigte den Kopf zu ihm. Ich war nicht schuld, daß er dachte, ich will einen Kuß. Er öffnete die Lippen, aber ich wiederholte:
    Spring, ich trage die Verantwortung.
    Dann riß ich meinen Arm los, daß er beide Hände frei hat und springen kann, und war betäubt vor Angst, daß er es tut. Erst dann ging ich, ohne mich umzusehen, mit kleinen Schritten weg, damit er sich nicht genieren muß und ich weit genug von dem Ertrunkenen entfernt bin. Ich war fast am Ende der Brücke angekommen, da keuchte er hinter mir, stieß mich ans Geländer und quetschte meinen Bauch. Er packte mich am Nacken und drückte mein Gesicht so tief zum Wasser unten, wie sein Arm lang war. Mein ganzes Gewicht hing übers Geländer, meine Füße hoben sich vom Boden, er preßte meine Waden zwischen seine Knie. Ich schloß die Augen und wartete, bevor ich
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