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Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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1.

    Die Worte des Abtes von Saint-Polycarpe waren stets von großer Klarheit. Auch der Novizenmeister Marcellus, zugleich Vorsteher der Klosterschule, war für seine deutlichen Anweisungen bekannt, die nur selten Zweifel oder Unsicherheit unter den Novizen aufkommen ließen. Bruder Philippus jedoch, der Mundkoch des Abtes, ein kleiner spitznasiger Mann mit schlechten Zähnen, redete oft dunkel und missverständlich. Obendrein pflegte er eine ausgeprägte „Handschrift“, was bedeutete, dass er unverhältnismäßig oft und hart zuschlug.
    Ängstlich darauf bedacht, alles richtig zu machen, traten Damian und Olivier am Tag vor Invocavit ihren Weg in die Küche an, denn es galt, letzte Hand an ein Festmahl für die Gäste des Abtes zu legen.
    „ Novicius, novicius “, flötete Philippus, als er der beiden ansichtig wurde, wobei seine Nase zitterte, als ob er sie dazu abgestellt hätte, sämtliche Ingredienzien, die er zum Kochen benötigte, vor ihrem Einsatz gründlich zu prüfen.
    Kurze Zeit später reichte ihm Damian, der jüngere der beiden, auf einem hölzernen Schöpflöffel Preiselbeeren, mit denen der Koch eine feine Weißspeise verzieren wollte. Und tatsächlich entstand alsbald unter Philippus` geschickten Händen ein Agnus Dei mit abgewinkeltem Bein, Fähnlein und Kreuz. Der Mönch zog noch einmal das eingangs gesungene „ Novicius, novicius ... “ unnatürlich in die Länge und legte dann eine Pause ein, um sein Kunstwerk von allen Seiten zu begutachten. Damian beobachtete, wie seine Zunge gleich einer kleinen Maus auf der Suche nach dem Schlupfloch von einem Mundwinkel zum anderen sprang.
    Unvermittelt sah der Mundkoch auf. „ Novicius, novicius “, klang es nun barsch und die Brauen hoben sich. Er deutete mit dem Finger auf Damian und zitierte: „ ... wollt er waten durch den Fluss, sprach: fürwahr, ich rüber muss. Doch besser ist`s, du schweigest still, wie es die Ordensregel will!“
    Damian, der gar nichts gesagt hatte, überlegte hektisch. Hatte er einen Fehler gemacht, und wenn ja, welchen? Unsicher wanderten seine taubengrauen Augen von Philippus zu Olivier.
    „Nun, ich höre ...“, sagte Philippus.
    „Äh“, begann der Junge und starrte auf den Koch.
    „Äh?“, herrschte ihn Philippus an, die rechte Hand hinter das Ohr haltend. „Äh? Euer Ja soll ein Ja und euer Nein ein Nein sein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt! Habt ihr Dummköpfe das verstanden?“
    „Jawohl“, antwortete Olivier, der die Launen des Mundkochs bereits zur Genüge kannte, während Damian mit einem gleichzeitigen „Nein“ zeigte, dass er keineswegs wusste, was Philippus von ihm wollte. Vor Schreck waren ihm auch noch einige Preiselbeeren auf den Boden gesprungen. Einzeln klaubte er sie auf, pustete den Schmutz ab und legte sie, um sie nur ja nicht zu vergeuden, auf den Löffel zurück. Die alte Gesine, die zuhause auf Dérouca kochte, würde ihn für seine Umsicht gelobt haben. Beim Aufsehen bemerkte er jedoch, dass ihn Olivier entsetzt anstarrte. Indes fehlte die Zeit zum Nachdenken, denn Philippus hatte bereits ausgeholt. Ehe sich Damian versah, lag er zwischen den Mehlsäcken und hielt sich die brennende Wange.
    Tapfer schluckte er die Tränen hinunter. Er war nicht mehr zuhause auf Dérouca. Hier herrschten andere Sitten.
    Das anschließende Tranchieren des Geflügels und das In-Scheiben-Schneiden des Wildes galten Philippus als heilige Handlung, die er stumm und ohne Zuhilfenahme der Nase und der Zunge mit großer Sorgfalt verrichtete, während ihm die Novizen jeweils die Teller und Platten reichten.
    Endlich läutete die Glocke zur Abendhore.
    Erleichtert verließen die Novizen über den Hinterausgang die Küche, nachdem Philippus ein weiteres Mal schier außer sich geraten war, weil Damian ihm gedörrte Pflaumen statt Äpfel gereicht hatte. „Gott des Himmels und der Erden, Vater, Sohn und Heil`ger Geist!“, hatte der Koch geschrien, „ihr seid heute wirklich zu nichts zu gebrauchen. Drei Löffel voll Nüchterling auf die Nacht - und jetzt hinaus mit euch!“
    Als Damian auf dem Weg zur Kapelle in aller Unschuld nachfragte, was denn unter Nüchterling zu verstehen sei, blitzten Oliviers Augen wütend auf: „Du elender Bastard, begreifst du denn gar nichts?“, stieß er hervor. „Drei Abende hungrig ins Bett! Drei Abende. Das wirst du mir büßen.“ Nachdem er sich mit Bedacht umgesehen hatte, begann er im Schutz der Zypressen den Jüngeren hin und her zu schubsen, bis Damian ihm
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