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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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neuen
    Führer wollen, der sie wieder Gefolgschaft lehrt: »Sehet, Zarathu-
    stra ist kein Lehrer, man kann ihn nicht fragen und von ihm lernen
    und ihm gute kleine und große Rezepte für nötige Fälle nach-
    schreiben. Zarathustra ist der Mensch, er ist Ich und Du ... Aber
    nur eines hat er gelernt, nur eines ist seine Weisheit, nur eines ist
    sein Stolz. Er hat gelernt Zarathustra zu sein. Das ist es, was auch
    ihr von ihm lernen wollet, und wozu doch so oft euch der Mut ge-
    bricht. Ihr sollet lernen, ihr selbst zu sein, so wie ich Zarathustra
    zu sein gelernt habe. Ihr sollet verlernen, andere zu sein, gar
    nichts zu sein, fremde Stimmen nachzuahmen und fremde Geister
    für die euern zu halten.« In dieser wichtigen Schrift Hesses, in der
    er gegen falsches Opferpathos und Untertanengeist anschreibt,
    finden sich auch die beiden Abschnitte »Vom ↑ Deutschen« und
    »Weltverbesserung«. Nur starke Individualitäten geben der Masse
    ein Gesicht, nehmen ihr den blind-gewalttätigen Zug, den sie la-
    tent in sich trägt. Ebenso wie allen Volksgemeinschaftsidealen
    verweigert sich Hesse tumber Fortschrittsmechanik: »Ich weiß
    nicht, ihr Freunde, ob die Welt je verbessert worden ist, ob sie
    nicht immer und ewig gleich gut und gleich schlecht gewesen ist.
    Ich weiß es nicht, ich bin kein Philosoph, ich habe nach dieser
    Seite hin zu wenig Neugierde. Dies aber weiß ich: Wenn jemals
    die Welt durch Menschen verbessert, durch Menschen reicher
    geworden ist, so ist sie es nicht durch Verbesserer geworden,
    sondern durch jene wahrhaft Selbstsüchtigen, zu welchen ich
    auch euch so gerne zählen möchte. Jene ernstlich und wahrhaft
    Selbstsüchtigen, welche kein Ziel kennen, welche keine Zwecke
    haben, denen es genügt zu leben und sie selbst zu sein.«

    Zauberer
    »Kindheit des Zauberers« von 1926 liest sich wie ein zum Apho-
    rismus zusammengezogener Marcel Proust: Auf der Suche nach
    der verlorenen Zeit. Eine Expedition zum verlorenen Kontinent der
    Kindheit, auf der sich der Dichter immer befindet. Der Dichter
    träumt sich zurück an den Anfang. Dort ist seine Heimat. Aber so-
    bald er diesen Traum aufzuschreiben begann, »war der Schrei-
    bende enttäuscht von dem, was er auf seinem Papier las,
    ernüchtert saß er vor dem, was er gestern abend mit einer gewis-
    sen Freude und Begeisterung begonnen hatte, was gestern eine
    Abendstunde lang wie Dichtung ausgesehen und sich nun über
    Nacht doch eben wieder in Literatur verwandelt hatte, in leidiges
    beschriebenes Papier, um das es eigentlich schade war«. Der
    Dichter inmitten seines hochfliegenden Traums, über das Papier
    gebeugt, schrumpft ein auf das Maß eines nüchternen Wortarbei-
    ters. Der Berufene hat einen Beruf: Schriftsteller. Und wo bleibt
    der Zauberer, der sich die Kindheit in die Tasche steckt und damit
    auf und davon macht? Er wird zum »Totengräber«, der die »ge-
    fundene Inschrift auf einem uralten Stein abzulesen versucht,
    ausgehend von den wenigen noch erkennbaren Buchstaben oder
    Bildzeichen, so suchte unser Mann seinen Traum zu lesen, indem
    er Stückchen um Stückchen zusammensetzte«.
    Was zu tun bleibt, ist nüchterne Spurenlese, Handwerk des Erin-
    nerns. Buchstaben, Worte und Sätze so genau zusammenzusetzen,
    daß sie selbst für andere zum Traumgrund werden, das ist das
    Tagewerk eines Dichters, der mehr ist als ein an sich selbst be-
    rauschter Dilettant. Hesse rückt hier den enttäuschenden Realisten
    in sich an die erste Stelle. So wird er sich im zur gleichen Zeit ent-
    stehenden ↑ » Steppenwolf« sel bst porträtieren: ironisch distanziert und zugleich surreal überhöht.
    Der Traum trifft auf die Realität. In seiner Seele bleibt der Autor
    hochgestimmt, »ein echter Dichter«, »ein Träumer, ein Seher« –
    Nietzsches ewig spielen wollendes Kind im Manne. Beweisbar,
    dem Leser als Text vermittelbar, wird dies nur, so sieht er jetzt
    glasklar, indem »sein Handwerk aber das eines bloßen Literaten
    bleiben müsse«.

    Zivilisation
    Ein Regelwerk, das die Menschen auf Distanz bringt – zu sich
    selbst. Zur Natur. Ein Schutzraum, der Berechenbarkeit garantiert.
    Die Bibel der Zivilisation ist das bürgerliche Gesetzbuch. Es si-
    chert die Freiheit des einzelnen, die in der Gleichheit aller vor dem
    Gesetz besteht. Der Vorzug der Zivilisation ist zugleich ihre größte
    Schwäche: ihr formaler Charakter. Und gelegentlich benimmt sich
    die zivilisierte Gesellschaft so urwüchsig, als sei sie im Dschungel.
    Voltaires
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