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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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in den USA Hesse entdeckt und Timothy Leary laut über die
    Frage nachgedacht, ob Hesse auch bewußtseinsverändernde Dro-
    gen genommen habe. Jedenfalls war ihm das »Glasperlenspiel«
    wie ein einziger LSD-Trip vorgekommen.
    An Hesse läßt sich sehr gut zeigen, daß nicht nur der Autor Me-
    tamorphosen durchläuft, sondern auch seine Leser. Peter Härtling
    hat darüber nachgedacht, wie wichtig Hesse in seiner Jugend für
    ihn war - und wie er ihn, als er selbst zu schreiben begann, zeit-
    weise doch verriet: »Ich hörte nicht auf ihn zu lesen, aber in Un-
    terhaltungen wertete ich ihn ab; ich redete über ihn und seine
    Bücher wie über eine vergangene Liebesaffäre, die einem lächer-
    lich und nicht mehr geheuer ist...«
    Hesse als Last, die man zurückstößt, weil man eigene Wege geht?
    Dabei lebt Hesse Nietzsches Aufklärer-Wort: Nicht ihm, sondern
    sich selber solle man folgen. Womit er sich jedem Dogma, auch
    dem verführerisch-freundlichen der Schülerschaft, entzieht. In
    seiner »Wanderung« bekennt Hesse sich als Verehrer der Untreue,
    des Wechsels, der Phantasie. Es ist ein Bekenntnis zur Treue auf
    Umwegen. Eine, die den Verführungen nicht asketisch ausweicht,
    sondern durch sie hindurchgeht und an ihnen wächst.
    Wer sich sehr früh einem Autor zuwendet, muß sich dann im Lau-
    fe seines Lebens mehrfach korrigieren. Hesse selbst hat das vor-
    gemacht. Er rückte von seinen frühen Werken ab, stärker wohl, als
    es uns heutigen Lesern mitunter plausibel erscheint. Aber für ihn
    war nach dem Ersten Weltkrieg der Zeitpunkt gekommen, Konti-
    nuitäten aufzukündigen. Er mußte neu beginnen, um schöpferisch
    zu bleiben. Der Autor Hesse zeigt uns viele Gesichter. Romantiker
    ist er ebenso wie Aufklärer, Idylliker wie Anti-Idylliker. Keiner Leh-
    re oder Schule fühlt er sich verbunden, ohne zugleich auch den
    von diesen verstoßenen Ketzern zuzuneigen. Zu jeder Institution
    geht er auf Distanz. In der »Steppenwolf«-Krise gründen schon die
    Legenden vom »Glasperlenspiel«. Diese Legenden sind der wohl
    abstrakteste Ausdruck, der angestrengteste Heilungsversuch jener
    großen Entwicklungs-Krise, die sein ganzes Leben war.
    Der Dichter in seiner naiven Grausamkeit des Sehens gleicht dem
    Kind. Die Wirklichkeit so ernst zu nehmen, wie sie sich ernst ge-
    nommen sehen möchte, macht ihm sein vagabundierender Spiel-
    trieb unmöglich. Aber damit ist es ihm ernst. In der Verteidigung
    des Spiels zeigt er sich erwachsen. Am Ende geht er wie der Maler
    in der altchinesischen Fabel in sein Bild hinein, entzieht sich sei-
    nen »in großer Verlegenheit« zurückbleibenden Wärtern.
    Hesse hinterläßt uns keine Lehre, über die wir streiten können, bis
    sie zu Staub zerfällt. Er gibt uns ein Beispiel an geistiger Unab-
    hängigkeit, fern aller Institutionen, unbrauchbar für die Politik.

    Noch diesem schönen – offenen – Schluß hat Hesse sich verwei-
    gert, indem er sein »Glasperlenspiel« schrieb: ein prophetisches
    Werk über das Ende des alten bürgerlich-individualistischen Euro-
    pas. Er hat dabei hoffnungsvoll nach Asien geblickt und uns mit
    dem Unbehagen eines Erziehungsromans zurückgelassen. Wie
    soll eine neue geistige Elite aussehen, die sich dem Kulturverfall
    entgegenstellt, fragt der Dichter. Läßt sie sich züchten? »Es dauer-
    te immerhin lange genug, bis die Erkenntnis sich Bahn brach, daß
    auch die Außenseite der Zivilisation, auch die Technik, die Indu-
    strie, der Handel und so weiter der gemeinsamen Grundlage einer
    geistigen Moral und Redlichkeit bedürfen.« In seinen späten
    Schriften experimentiert Hesse darum auch mit dem Gedanken
    einer platonischen Hyper-Akademie, eines Kontrollrats der Weisen
    über die Politik.
    Doch jeglicher Hybris selbsternannter Geistesaristokraten weiß
    sich Hesse zu entziehen. So verläßt Josef Knecht schließlich den
    »Orden der Glasperlenspieler« und tauscht das elitäre Gebilde
    »Kastalien« gegen die vage Hoffnung auf erfülltes Leben. Inmitten
    herrschender Interessenhaftigkeit, umgeben von Bürokratie und
    Zerstreuungsindustrie, bedrängt von naturhaftem Trieb und Wis-
    senschaftseitelkeit, soll der einzelne die Wahrheit des Lebens fin-
    den. Ein Mensch, der sein Maß in sich weiß. Der das Fragment
    dem System vorzieht, das Unvollständige dem Vollständigen.
    Dem Fragment, das weniger Kompromiß als Überzeugung ist,
    strebt schließlich auch diese ebenso willkürliche wie vorsätzliche
    Stichwortsammlung nach; unbedingt und
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