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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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sie. In meinen
    Dichtungen vermißt man häufig die übliche Achtung vor der Wirk-
    lichkeit, und wenn ich male, dann haben die Bäume Gesichter,
    und die Häuser lachen oder tanzen oder weinen, aber ob der
    Baum ein Birnbaum oder eine Kastanie ist, das kann man mei-
    stens nicht erkennen. Diesen Vorwurf muß man hinnehmen. Ich
    gestehe, daß auch mein eigenes Leben mir sehr häufig genau wie
    ein Märchen vorkommt, oft sehe und fühle ich die Außenwelt mit
    meinem Innern in einem Zusammenhang und Einklang, den ich
    magisch nennen muß.«
    Darüber, was ihm Wirklichkeit ist, hat Hesse im ↑ » Kurgast« ge-
    sprochen. Es ist nicht unsere verkünstlicht-kranke »Kurgast«-
    Wirklichkeit. Der Kurgast Hesse, der an der so selbstgewissen
    »Wirklichkeit« krank Gewordene, sieht als unentfremdete Wirk-
    lichkeit allenfalls noch die Natur. Ansonsten findet er sie nur in
    der Über- und Gegenwirklichkeit des Traums, der uns aus den
    Verkehrtheiten unseres Daseins hinausträgt. Einem der notori-
    schen »Wirklichkeitsmenschen« diktiert er, mitten im Speisesaal,
    seine Definition der Unwirklichkeit ins Gesicht: »Sie existieren,
    mein Herr, dies kann ich nicht bestreiten. Sie existieren aber auf
    einer Ebene, welche einer zeitlich-räumlichen Wirklichkeit in mei-
    nen Augen ermangelt. Sie existieren, möchte ich sagen, auf einer
    Ebene des Papieres, des Geldes und Kredits, der Moral, der Geset-
    ze, des Geistes, der Achtbarkeit, Sie sind ein Raum- und Zeitge-
    nosse der Tugend, des kategorischen Imperativs und der Vernunft
    und vielleicht sind Sie sogar mit dem Ding an sich oder mit dem
    Kapitalismus verwandt. Aber Sie haben nicht die Wirklichkeit, die
    mich bei jedem Stein oder Baum, bei jeder Kröte, bei jedem Vogel
    unmittelbar überzeugt. Ich kann Sie, mein Herr, bis ins Unermes-
    sene billigen, achten, ich kann sie anzweifeln oder gelten lassen,
    aber es ist mir unmöglich, Sie zu erleben, es ist mir unmöglich,
    Sie zu lieben. Sie teilen dieses Schicksal mit Ihren Verwandten
    und werten Angehörigen, mit der Tugend, der Vernunft, dem ka-
    tegorischen Imperativ und mit allen Idealen der Menschheit. Ihr
    seid großartig. Wir sind stolz auf euch. Aber wirklich seid ihr
    nicht.« Der Dichter mag Wirklichkeit nur leiden, wenn er sie selbst
    hervorgeträumt hat, wenn sie ihm zur alle Eitelkeit des Verstandes
    belehrenden Feier der Sinne wird. Wirklich ist ihm allein das poe-
    tisch Verwandelte, von Interessen Befreite: »Ich habe während des
    Mittagessens einige Wolken am Himmel ziehen sehen, und da ich
    bisher der Meinung gewesen war, diese Wolken seien bloß aus
    Papier und gehörten zur Saaldekoration, war ich nun sehr froh
    über die Entdeckung, daß es richtige und wirkliche Luft und Wol-
    ken waren. Sie sind vor meinen Augen davongeflogen, sie waren
    nicht numeriert und an keiner hing ein Zettel mit dem Verkaufs-
    preis. Sie können sich denken, wie froh ich darüber bin. Die Wirk-
    lichkeit existiert noch, mitten in Baden! Es ist wunderbar!«

    Wissen
    »Wissen ist Tat. Wissen ist Erlebnis. Es beharrt nicht. Seine Dauer
    heißt Augenblick.« Goethe spricht so, oder Nietzsche, oder ein
    Mystiker, oder ein Anarchist – jedenfalls einer, der fremd ist in
    deutsch-idealistischen Landen, wo alles Ewigkeitswert haben soll
    und dabei nicht einmal den Augenblick zu bannen vermag. Hesse
    sagt es dennoch.

    Wolken
    Über die Wolken bei Hesse – nicht sprachlich Wolkiges, sondern
    die Beschreibung von Himmelsansichten –, hat Hugo Ball gesagt,
    ließen sich ganze Abhandlungen schreiben, und sofort hinzuge-
    fügt, das aber überließe er gern dem Philologenfleiß. Dem ist ei-
    gentlich nichs weiter hinzuzufügen, außer einer jener wahrhaft
    himmelsklaren Wolkenbeschreibungen aus dem ↑ » Peter Camen-
    zind« (im Original seitenlang): »O die Wolken, die schönen, schwebenden, rastlosen! Ich war ein unwissendes Kind und liebte
    sie, schaute sie an und wußte nicht, daß auch ich als eine Wolke
    durch's Leben gehen würde – wandernd, überall fremd, schwe-
    bend zwischen Zeit und Ewigkeit.« Eines hat die Jugend dem Alter
    immerhin voraus: altklug-aufschneiderisches Pathos. Zum Glück
    für uns besitzt Hesse ausreichend Witz, das Camenzind-Schiff mit
    Pathos-Schlagseite vorm Kentern zu bewahren.

    Wünsche
    In einem namenlosen Fragment aus dem Nachlaß hat Hesse über
    die Magie des Wünschens geschrieben – und wie man es sich vom
    Leibe schafft. Ja soll man es denn? Das ist schwer zu sagen, denn
    am Wünschen trägt
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