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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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es sich zuzeiten schwer. »Man sollte keine
    Ideen haben, man sollte keine neuen, schwierigen und vermutlich
    unmöglichen Sachen probieren! Man sollte lieber seine Bücher
    herunter schreiben wie ein braver, anständiger Handwerker, solid
    bescheiden, ohne Probleme, den Lesern zur Freude, sich selbst
    zum Nutzen, ohne Krampf, ohne Gehirnverlust.« Das sind so die
    Anfechtungen des Unentschiedenseins, die den Künstler von der
    Bürgerwelt trennen. In einem Gasthof gerät der Reisende an den
    Tisch eines merkwürdigen Herren, der sein Leiden mit einem Blick
    diagnostiziert: »Wünsche soll man sich stets erfüllen. Denn sehen
    sie: damit sind sie erledigt. Und was erledigt ist, das plagt uns
    nicht mehr.« Das ist die Frage: Soll man seine Wünsche erledi-
    gen? Oder soll man sie vor falschen Erfüllungen schützen? Hesse
    gibt darauf zwei Antworten. Die erste, verständliche im Affekt der
    Bedrängnis: »Ja, er hatte unheimlich recht – nie tat man eigent-
    lich, was man am liebsten wollte, immer ging man im Bogen um
    seine Wünsche herum, man hätschelte und feierte sie, verbog und
    verlog sie zu Idealen und Religionen, statt ihnen rasch und tapfer
    den Hals zu brechen.« Das liegt nahe, aber wer wäre Künstler, der
    es wirklich täte? Das umstandslose Erledigen der Wünsche ist
    doch eher eine Sache des Kaufmanns im Bürger, der sich eins
    nicht einmal mehr vorstellen kann: das Tabu. Die künstlerische
    Wahrnehmung aber ist eine andere. Sie nimmt den Dingen nicht
    ihren Zauber, sondern sucht ihn noch zu stärken, offenbart ihnen
    an sich sogar einen Zauber, der ihnen bislang verborgen geblie-
    ben war: »Der Baum, dem ich auswich, das Gras, das mich hoch
    bis zu den Knien streifte, der verwachsene Weg, das verwilderte
    Rondell, der Nachtfalter, die Grille - alles, und jedes Blatt am
    Strauch und jede Schwingung der Luft, war so voll Beziehung, war
    so weckend, erinnernd, erregend, führte mich in's eigne Innere
    und darin zurück bis ins Gestaltlose – für Augenblicke begriff ich,
    daß Worte des Mythos wie Chaos und Schöpfung, Worte der Ver-
    nunft wie Vorzeit und Entwicklung im Grunde nicht ein Nachein-
    ander meinten, sondern ein Zugleich und Ineinander. Urwelt war
    nicht älter als Heute, war nicht gewesen: – Urwelt und Heute wa-
    ren zugleich.«

    X
    Xenophon
    Beliebtester Anwärter, wenn es um den Buchstaben X geht. Im-
    merhin ein antiker Philosoph, der mehr gelesen wird als die aller-
    meisten akademischen Gegenwartsphilosophen. Ein Sokrates-
    Biograph mit Bestsellerinstinkt. Vielleicht kennen wir Sokrates
    überhaupt nur noch durch Xenophons »Memorabilien« (»Erinne-
    rungen an Sokrates«). Besser als Xenophon kann man ein Image
    nicht kreieren: der Philosoph als Mann aus dem Volke! Hesse in
    seiner Lese-Landkarte »Eine Bibliothek der Weltliteratur« erwähnt
    natürlich auch Xenophon: »Wenden wir uns zur Welt der griechi-
    schen Weisheit, so stoßen wir wieder auf eine schmerzliche Lücke:
    den wirksamsten, vielleicht wichtigsten Weisen, Sokrates, müssen
    wir uns aus den Schriften mehrerer anderer, namentlich Platons
    und Xenophons, in Bruchstücken zusammensuchen.« Eine durch-
    aus komfortable Position: das überlieferte Leben als rätselhaftes
    Fragment!

    Y
    Yoga
    Was man selber nicht praktiziert, kann man um so leichter ande-
    ren empfehlen. Aber zumindest theoretisch gibt es eine passende
    Antwort auf die Rationalitätshybris: Yoga. In einem Brief aus dem
    Jahre 1954 an eine Leserin in Buenos Aires empfiehlt Hesse, ge-
    gen die »Einseitigkeit des Strebens«, die »Rätsel der Welt und
    Wirklichkeit auf rationalem Weg, durch Denken, zu lösen«, ein
    Gegengewicht in sich zu schaffen – die »Befreundung mit der Na-
    tur«: »Der Weg dazu ist Yoga. Es gibt tausend Bücher darüber, die
    ich nicht gelesen habe, und es gibt, z. B. in Nordamerika, auch
    Yoga-Schulen, zum Teil mit indischen Lehrern. Auch sie kenne ich
    nur vom Hörensagen. Was ich in gewissen Zeiten meines Lebens
    an Meditation nötig hatte, habe ich mir selbst erfunden, es ist
    nicht lehrbar und mitteilbar.«

    Z
    Zarathustras Wiederkehr
    Der Untertitel dieses 1920 zuerst anonym erschienenen Textes
    lautet: »Ein Wort an die deutsche Jugend und andere Denkschrif-
    ten gegen den Radikalismus von rechts und links«. Im Stile von
    Nietzsches Zarathustra-Dichtung spricht Hesse zu den jungen
    Deutschen, die er durch den Krieg orientierungslos und verstört
    weiß. Die größte Gefahr sieht Hesse darin, daß sie einen
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