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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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Sprache«. Hesse hat diese – in
    doppelter Hinsicht – frühe Lehre nicht vergessen. Niemals wieder
    ist er einer noch so verführerisch klingenden Ideologie gefolgt,
    immer hat er seine eigene sperrige Autonomie gegen die wohl-
    klingenden großen Ziele verteidigt.

    Wenger, Ruth
    Nachdem Hesse sich 1919 endgültig von Maria ↑ Bernoulli getrennt hat, wendet er sich einer um zwanzig Jahre jüngeren Frau zu: Ruth
    Wenger, die Tochter eines Stahlfabrikanten und einer Schriftstel-
    lerin. Sie wird Hesses Muse für seinen seelischen und schöpferi-
    schen Neuanfang im südlichen Tessin. In ↑ » Klingsors letzter Sommer« schildert er im Kapitel »Der Kareno-Tag« einen Ausflug
    nach Corona. Dort wohnt Ruth Wenger in der Casa Constanza,
    dem »Papageienhaus«. Bei ihr entdeckt Hesse, was er bei Maria
    Bernoulli vor allem vermißte: frei spielende jugendliche Sinnlich-
    keit. Im »Klingsor« heißt es: »Im Halbschatten eines Fensterbo-
    gens sah Klingsor lautlos eine Gestalt stehen, ein schönes
    Mädchen, schwarzäugig, rotes Kopftuch um schwarzes Haar. Ihr
    Blick, still nach den Fremden lauernd, traf den seinen, einen lan-
    gen Atemzug lang schauten sie, Mann und Mädchen, sich in die
    Augen, voll und ernst, zwei fremde Welten einen Augenblick lang
    einander nah. Dann lächelten sich beide kurz und innig den ewi-
    gen Gruß der Geschlechter zu...« Hesse möchte das Verhältnis zu
    Ruth Wenger möglichst frei von festen Verbindlichkeiten halten.
    An Heirat denkt er nicht, wie er 1922 in einem Brief an Josef Eng-
    lert schreibt: »Ich hoffe, mein Verhältnis zu Ruth Wenger bleibe,
    wie es ist, innig und schön, aber äußerlich frei und lose.« Ruth
    Wengers Vater gefällt das Lose dieser Beziehung allerdings nicht,
    er drängt auf Legalisierung des Verhältnisses. Darum wird Hesses
    erste Ehe im Juni 1923 geschieden. Anfang 1924 heiratet er – wi-
    derstrebend – Ruth Wenger. Die Ehe hält nur kurz, eigentlich exi-
    stiert sie als solche gar nicht, denn Ruth Wenger denkt nicht
    daran, Hermann Hesses Einsiedlerleben zu teilen. 1927 ist auch
    diese Ehe bereits wieder geschieden. Das Scheidungsurteil des
    Zivilgerichts des Kantons Basel-Stadt erreicht Hesse mitten in der
    Arbeit am »Steppenwolf«. Das Gericht begründet seine Entschei-
    dung: »Die Parteien haben nach der Hochzeit nur einige Wochen
    in einem hiesigen Hotel gewohnt... Auch später seien die Parteien
    nie zu einer gemeinsamen Wohnung gekommen ... Der Beklagte ...
    habe eine Neigung zum Einsiedlerleben, könne sich nicht nach
    anderen Menschen richten, hasse Gesellschaftlichkeit und Reisen.
    Der Beklagte habe diese Eigenschaften in seinen Büchern selbst
    eingehend geschildert ... er nenne sich in diesen Büchern [›Kur-
    gast‹ und ›Nürnberger Reise‹] selbst einen Eremiten und Sonder-
    ling, Schlaflosen und Psychopathen. Die Klägerin dagegen sei
    jung und lebensfroh, liebe geselligen Verkehr und ein herzliches
    Familienleben.« Auch diese zweite Ehe war also ein Irrtum. Was
    Hesse nicht daran hinderte, sich einige Jahre später erneut –
    ebenso widerstrebend –, aber diesmal glücklicher mit Ninon
    ↑ Dolbin zu verheiraten.

    Wirklichkeit
    Über Wirklichkeits- und Möglichkeitsmenschen kann man in Ro-
    bert Musils »Mann ohne Eigenschaften« nachlesen. Dem Möglich-
    keitsmenschen – einem modernen Mystiker! – ist Wirklichkeit
    immer nur etwas Vorläufiges, im Fluß Befindliches. Wirklichkeit,
    die sich nicht ihrer Unwirklichkeit bewußt ist, bleibt ihm fremd.
    Soll man sich in der Wirklichkeit zu Hause fühlen? Die ist einem
    phantasiebegabten Menschen doch viel zu eng. Wo von allem,
    was existiert, auch das Gegenteil vorstellbar ist? Auch Hesse ist
    an Wirklichkeit, wie sie sich uns aufdrängt, nicht sehr interessiert.
    Wer braucht sie schon als Äußeres, der seine eigene innere Wirk-
    lichkeit – als Möglichkeit – mit sich trägt? »Ich finde, die Wirklich-
    keit ist das, worum man sich am wenigsten zu kümmern braucht,
    denn sie ist, lästig genug, ja immerzu vorhanden, während schö-
    nere und nötigere Dinge unsre Aufmerksamkeit und Sorge for-
    dern. Die Wirklichkeit ist das, womit man unter gar keinen
    Umständen zufrieden sein, was man unter gar keinen Umständen
    anbeten und verehren darf, denn sie ist der Zufall, der Abfall des
    Lebens. Und sie ist, diese schäbige, stets enttäuschende und öde
    Wirklichkeit, auf keine andere Weise zu ändern, als indem wir sie
    leugnen, indem wir zeigen, daß wir stärker sind als
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