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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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»Die einen erzählen, Ninon sei von Vo-
    gel verführt, ihm in die Wälder gefolgt, habe ihm wunderbare
    Speisen gekocht und ihn vollkommen zahm gemacht – die ande-
    ren sagen, sie habe dem Vogel so lange nachgestellt, bis es ihr
    gelungen sei, ihn zu fangen und in einen Käfig zu stecken, dort
    habe sie ihn bei schmaler Kost jahrelang gefangen, schmachten
    lassen.« Für Ninon eine Provokation, die sie nicht auch noch ge-
    druckt sehen will. Doch Hesse zeigt sich – zuerst – stur. Niemals
    habe er auf äußeren Druck hin etwas in seinen Texten geändert,
    teilt er seiner Frau förmlich – also brieflich – mit, er gedenke auch
    nicht, nun damit anzufangen. Die einzige Möglichkeit für ihn sei,
    ihr den ganzen Text zu opfern, also ihn nicht wie geplant in den
    Band aufzunehmen. Es sagt eines über Ninons Stärke, daß der
    Text dann doch in die »Traumfährte« aufgenommen wurde – ohne
    den von ihr monierten Passus.
    Der Vogel, der sich aus dem Ei kämpft, dieses Bild aus dem »De-
    mian« wurde auch für die 68er Bewegung zur Zentralmetapher.
    Bis nach Japan und in die USA drang die Botschaft vom Zerbre-
    chen der Schale, die das Hervordrängende umklammert hält. Was
    uns an uns selbst bislang verborgen geblieben war, tritt nun ins
    Licht. »Buntscheckige Vögel sind dabei hervorgekrochen, biswei-
    len auch böse Tiere.« (Hans Mayer)

    Voigt, Helene
    Erster Fan Hesses! Die junge schöne Frau liest Hesses Gedichte im
    »Dichterheim«, ist fasziniert und schreibt Hesse den ersten Leser-
    brief seines Lebens. Hesse hat ihr Foto, das sie ihm schickte, im-
    mer aufbewahrt. Es zeigt ein dunkelhaariges Mädchen mit
    glutvollen Augen in einem Reiterkleid und mit Reitpeitsche. Die
    Bewunderung Helene Voigts für den jungen Dichter hat wunder-
    bare Folgen. Denn zwar bleiben die Hoffnungen, die sich der
    neunzehnjährige Hesse auf eine Verbindung zwischen ihnen
    macht, unerfüllt, aber es passiert etwas viel Besseres. Sie heiratet
    kurz darauf den Verleger Eugen Diederichs. Auf Drängen seiner
    jungen Frau bringt er schließlich – ganz ohne sich Illusionen über
    einen Verkaufserfolg zu machen – Hesses frühe Prosa unter dem
    Titel »Eine Stunde hinter ↑ Mitternacht« her aus. Ein Verkaufserfolg wird es tatsächlich nicht, aber immerhin bespricht es der kaum
    ältere Rainer Maria Rilke mit leicht herablassendem Lob.

    W
    Wagner, Richard
    Zu Wagner steht Hesse im Verhältnis zunehmender Ablehnung.
    Schon Peter Camenzind jodelt – eine unvergleichlich frech-schöne
    Textstelle – Wagner buchstäblich beiseite. Trotzdem hatte er noch
    1914 die Schönheit des »Tristan«, der »Meistersinger« und des
    »Parsifal« unvergleichlich genannt. Und hinzugefügt: »Daß Wa-
    gners polemische und programmatische Aufsätze jetzt noch we-
    sentliche Wirkung tun könnten, ist nicht wahrscheinlich; daß sie in
    ihrem oft schönen Fanatismus noch manche junge Köpfe erhitzen
    werden, schadet gewiß nichts.« 1934 in einem Brief an Thomas
    Mann heißt es jedoch ohne Umschweife: »Ich kann ihn, offen ge-
    sagt, nicht ausstehen.« Thomas Mann hatte, bei aller Kritik am
    Wagner-Kult, seine Dennoch-Liebe zu Wagner erklärt, die Hesse,
    wie er schreibt, »zwar ehrwürdig und auch rührend, aber doch nur
    halb verständlich ist«.
    Wagners Zauber sei »Schwarze Magie«, findet Hesse. Ein fauler
    Brunnen, der die klare heitere Quelle der Musik verunreinige. Das
    unbescheidene, formlose Zuviel an Tönen kommt ihm jetzt nur
    unangenehm-schwül vor. Hesse, der im Sinne Nietzsches diony-
    sisch beginnt, wendet sich nach dem Ersten und noch mehr nach
    dem Zweiten Weltkrieg dem Apollinischen zu. Aus dem Ekstatiker,
    der allein in der Musik die Fesseln unfrei machender Tradition und
    unschöpferischen Verstandes gesprengt sieht und der dies bejaht,
    wird der ruhige Wortplastiker, der Maler Hesse, der auf das ge-
    fährliche Neue bewußt verzichtet. Zu viel eitles Virtuosentum und
    zu wenig dienendes Einordnen in die sinnreich-gewachsene Hier-
    archie, so resümiert er im »Glasperlenspiel«, sei die Krankheit
    derzeit.
    Recht kurzschlüssig mutet es jedoch an, wenn Hesse während des
    Nationalsozialismus Wagner nur als »Hitlers Lieblingskomponi-
    sten« sehen will. Hesse konzediert Wagner nicht, daß er die ro-
    mantische Oper vollendet, um sie zu überwinden, daß er keine
    Welteroberungs- oder gar Versklavungsmusik schreibt, sondern
    eine, die die Liebe als welterlösende Kraft feiert, an der Macht und
    Geld abprallen. Hesse, der
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