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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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Besuch einer Stiftsschule er-
    laubende ↑ Landexamen in Stuttgart als Zweitbester bestanden.
    Ebenso wie dieser versagt er aber im schulischen Drillsystem.
    Giebenrath tötet sich am Ende, der junge Hermann Hesse beginnt
    einen schwierigen, jahrelang unentschiedenen Weg der Selbstsu-
    che, mit wechselnden Schulen, psychiatrischen Anstalten und ab-
    gebrochenen Lehrverhältnissen.
    Und doch, Hesse ist aufsässig genug, die Charakteristik des Phili-
    sters direkt an den Vater zu adressieren, auszusprechen, worunter
    er am meisten gelitten hat; dem Untertan mit permanent gutem
    Gewissen: »Sein inneres Leben war das des Philisters. Was er et-
    wa an Gemüt besaß, war längst staubig geworden und bestand
    aus wenig mehr als einem traditionellen, barschen Familiensinn,
    einem Stolz auf seinen eigenen Sohn und einer gelegentlichen
    Schenklaune gegen Arme. Seine geistigen Fähigkeiten gingen
    nicht über eine angeborene, streng abgegrenzte Schlauheit und
    Rechenkunst hinaus. Seine Lektüre beschränkte sich auf die Zei-
    tung, und um seinen Bedarf an Kunstgenüssen zu decken, war die
    jährliche Liebhaberaufführung des Kunstvereins und zwischenhi-
    nein der Besuch eines Zirkus hinreichend.
    Er hätte mit jedem beliebigen Nachbarn Namen und Wohnung
    vertauschen können, ohne daß irgend etwas anders geworden
    wäre. Auch das Tiefste seiner Seele, das schlummerlose Mißtrau-
    en gegen jede überlegene Kraft und Persönlichkeit und die instink-
    tive aus Neid erwachsene Feindseligkeit gegen alles Unalltägliche,
    Freiere, Feinere, Geistige teilte er mit sämtlichen übrigen Hausvä-
    tern der Stadt.« Hans Giebenrath ist begabt – und genau das wird
    ihm zum Verhängnis. Denn es macht ihn verletzlich gegenüber der
    Grobheit derer, die sich alles nur äußerlich anlernen. Giebenrath
    sucht das innere Erlebnis, aber in der seelenlosen Welt der Unter-
    tanen öffnet sich gerade mit dieser wunderbaren Empfindsamkeit
    die Todes wunde: die tägliche Vergewaltigung seiner Seele. Hesse
    hat später diesen Versuch eines Schülerromans, der zum Aufstand
    gegen die Eltern, Schule, Theologie, Tradition und Autorität wur-
    de, nur »sehr teilweise geglückt« genannt. Und Hugo Ball sagte
    sogar, der »Demian« (die Suche nach dem »Seelenlehrer«) annu-
    liere »Unterm Rad«. Dem ist mitnichten so. Denn »Unterm Rad«
    erreichte eine ähnlich aufstörende Wirkung wie Musils »Verwir-
    rungen des Zöglings Törleß«, Rilkes »Turnstunde« oder Heinrich
    Manns »Professor Unrat«.

    Untertan
    Hesses lebenslanger Hauptfeind. Zieht sich als verachtenswertes
    Subjekt durch alle seine Bücher. Die Gestalt des Untertans wech-
    selt. Mal maskiert er sich als Schulmeister, mal als Professor. So-
    gar ein fanatischer Weltverbesserer ist meist im Grunde seines
    Herzens nur ein Untertan, also das Gegenteil eines freien Geistes.
    Aber ob es die Drill-Schule ist, die junge Menschen zerbricht (»Un-
    term Rad«), oder lustfeindliches Rohköstlertum (»Doktor Knölges
    Ende«), immer behauptet sich der Autor Hesse wie Nietzsches
    Prinz Vogelfrei in seinen Texten als vogelhafte Rätselfigur, die
    ihren Nimbus, den Reichtum an lebendiger Phantasie gegen die
    Askese jeder Doktrin zu wahren weiß.

    USA
    Noch Mitte der fünfziger Jahre kann Hesse es sich nicht vorstel-
    len, was ausgerechnet die Amerikaner mit seinen Büchern anfan-
    gen sollen. In einem Brief an Siegfried Unseld zitiert er einen
    amerikanischen Professor: »Um Hesse zu goutieren, muß man ihn
    lieben - und was sollte in einem Buch wie dem ›Glasperlenspiel‹
    für einen Amerikaner Liebenswertes zu finden sein?« So ist Hesse
    in gewisser Weise froh, daß seine Antipathie dem amerikanischen
    Geist gegenüber anscheinend erwidert wird. Er hätte es nicht ver-
    standen, daß ausgerechnet von den USA (der LSD-Szene!) die
    weltweite Renaissance seiner Bücher ausgehen würde. Wie er es
    auch für einen typischen Ausdruck schlechten amerikanischen
    Geschmacks hielt, als er hörte, dort habe eine »Steppenwolf«-Bar
    eröffnet. Unseld schreibt über Hesses Haltung: »Das Schicksal
    seiner Bücher in Amerika war ihm vollkommen gleichgültig. Er
    traute den Amerikanern keine Kultur, keine Kultur des Wortes zu
    ...« Tatsächlich war Hesse auf dem amerikanischen Buchmarkt der
    fünfziger Jahre quasi nicht existent. Unseld kaufte (hinter Hesses
    Rücken) mit Einwilligung von Ninon Hesse und Peter Suhrkamp
    Ende der fünfziger Jahre die amerikanischen Rechte zurück: für
    2000 Dollar!
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