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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte
Autoren: Christine Grän
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1. Kapitel
    Es waren die teuersten zehn Sekunden ihres Lebens.
    Anna Marx sah nach rechts auf den Beifahrersitz statt geradeaus auf die Straße. Suchte in ihrer Handtasche die Zigaretten, die sich dem tastenden Griff ihrer Hand entzogen hatten. Zehn Sekunden, in denen ein Wagen in die ampellose Kreuzung einfährt, die Anna in diesem Augenblick passiert. Als sie hoch sieht und reagiert, ist es zu spät. Sie weiß es, während sie mit quietschenden Bremsen auf das Auto zuschlittert. Der Himmel ist so nah, und der andere Wagen groß und blau. Metall auf Metall kreischt gemein bei Feindberührung. Kann sie das Weiß in den Augen des anderen sehen, oder ist es nur der Reflex ihrer Angst? Der Gurt schneidet in ihr Fleisch beim Zusammenprall. Es gibt Geräusche, die Ohren nie berühren dürften. Augenblicke, die so bodenlos sind, dass man in ihnen versinken möchte. Sekunden der absoluten Stille. Anna schließt ihre Augen und wünscht sich an einen anderen Ort. Nicht die Hölle, vielleicht die Fidschi-Inseln oder die namibische Wüste. Denn sie lebt noch, sie kann sich fühlen, und alles scheint an seinem Platz zu sein. Nur der Ort ist falsch, die Zeit, die Umstände. Und wenn sie die Augen nicht öffnet, wird dann alles nur ein Traum sein?
    Auf der kaum befahrenen Seitenstraße in Zehlendorf stehen zwei ineinander verkeilte Autos, ein neuer BMW und ein alter Jaguar. Der Mann steigt aus, er hält die Hand am Nacken, als wolle er seinen Kopf festhalten. Er betrachtet kurz die traurige Gestalt seines Wagens und öffnet dann vorsichtig Annas Tür. Er berührt ihre Schulter. »Sie sind doch nicht tot, oder?«
    Anna öffnet die Augen und sieht durch die gesprungene Scheibe in den blauen Himmel. »Nein. Sie?«
    »Wir leben noch«, sagt er, »und ich hatte Vorfahrt.«
    Es ist Zeit, der Katastrophe ins Gesicht zu sehen. Es ist blass, irgendwo angesiedelt zwischen alt und jung, nicht gänzlich unsympathisch, obwohl sie ihn zum Teufel wünscht. »Ich weiß das. Sie hätten trotzdem bremsen können.«
    »Hab’ ich, aber zu spät, wie Sie auch. Man darf sich nicht auf Vorfahrtsschilder verlassen. Und Sie sollten jetzt aussteigen. Vielleicht läuft ja Benzin aus, es war eine ziemliche Karambolage.«
    Annas Hände zittern, und er hilft ihr, den Gurt zu öffnen. Sie nimmt ihre Tasche, die an allem schuld ist, und hebt vorsichtig die Beine aus dem Wagen, fühlt Asphalt unter den Füßen und blinzelt in die unbeteiligte Sonne. Er stützt sie leicht am Arm, als sie steht, und führt sie auf die andere Seite. »Sieht ziemlich schlimm aus. Schade um den schönen, alten Wagen.«
    Anna bringt es kaum fertig hinzusehen. Der Jaguar, der so viele Jahre ihr Lieblingstier war. Sie kaufte ihn, obwohl sie wusste, dass er ihre finanziellen Verhältnisse in eine einzige Mesalliance verwandeln würde. Diese hier ist abgründig: Der Wagen ist abgemeldet. Keine Versicherung. Der MK II stand die ganze Zeit über in der Garage, sie wollte ihn an diesem schönen Tag ja nur ein wenig ausführen, das Brummen des alten Motors hören, das Leder riechen …
    … und nun hat sie ihn zu Schrott gefahren und obendrein einen Unfall verursacht, mit Folgen, die sie nicht bezahlen kann. Anna wischt sich mit dem Handrücken eine Träne von der Wange. Eine Blutspur bleibt daran, sie hat sich ihren Handknöchel aufgeschlagen. Nur eine kleine Wunde, doch alles andere schmerzt schrecklich.
    Er sieht sie besorgt an, nein, sie ist nicht der Typ, der anmutig in Ohnmacht sinkt. »Schöne Scheiße«, sagt sie und folgt ihm an den Straßenrand. Anna setzt sich auf einen Stein, der groß genug erscheint, und sucht in ihrer Handtasche nach den Zigaretten. Das Tatmotiv, ein Zeichen des Himmels, dass sie endlich aufhören sollte. Anna nimmt eine Zigarette und hält ihm die Packung hin. »Wollen Sie auch eine? Ich finde es nett, dass Sie nicht Ihr Wrack bejammern oder die Frau hinterm Steuer verdammen.« Das meint sie ernst. Es hätte schlimmer kommen können. Es kann immer noch schlimmer kommen …
    Er nimmt eine Zigarette und gibt ihr Feuer. Anna zieht den Rauch tief ein und sieht ihm in die Augen. Sie sind braun und von Fältchen umkränzt. Wird er lachen, wenn sie ihm sagt, dass sie nicht versichert ist?
    Ihr Opfer bläst Rauch in Annas Richtung. Sein Lächeln erscheint sorglos. »Ich habe nichts gegen Frauen, auch nicht am Steuer. Autos sind nur Dinge, und die sind austauschbar. Dafür gibt es Versicherungen … sollten wir nicht die Polizei rufen?«
    »Nein.« Anna hält sich die
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