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Herzflattern im Duett

Herzflattern im Duett

Titel: Herzflattern im Duett
Autoren: Franziska Gehm
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... Ich habe zum Beispiel schon einmal einen Stein mit einem Stück Blutwurst verwechselt und mir beinahe einen Zahn ausgebissen.« Allerdings hatte Daka noch nie ihre Füße mit ihren Händen verwechselt.
    Ali Bin Schick stand auf und tänzelte zu den Schüsselchen, die neben dem Tiger standen. »Die Fußlesekunst ist eine der ältesten Künste der Menschheit. Da sie sehr komplex und anspruchsvoll ist, ist sie zugunsten der viel einfacheren Handlesekunst mehr und mehr zurückgedrängt worden. Dabei verraten die Füße eines Menschen viel mehr über seinen Charakter und sein Schicksal. Die Füße sind bei jedem Menschen ganz individuell ausgeprägt. Sie dokumentieren seinen Lebensweg. Welches Körperteil, wenn nicht die Füße, sollte bloßlegen, wohin ein Mensch in Zukunft geht, welche Schritte er wagt, welche Stolpersteine auf ihn zukommen, welche Berge er erklimmen wird?« Ali Bin Schick stemmte die Hände in die breite Hüfte. Er sah die Zwillinge herausfordernd an.
    Die Zwillinge starrten den Wahrsager an und nickten gleichzeitig.
    »Hände sind trügerisch. Sie werden viel zu oft gewaschen, eingeseift und eingecremt«, fuhr Ali Bin Schick fort. Er stellte zwei kleine Schüsseln mit Wasser vor die Schwestern. Neben die Schüsseln legte er zwei Handtücher. »Füße dagegen lügen nie. Sie spüren jeden Schritt im Leben. Manche bekommen Hornhaut, Warzen oder Hühneraugen. Es gibt schöne Füße, Plattfüße, Knickfüße, Schweißfüße ...«
    Silvania rümpfte die Nase.
    Daka beugte sich vor und versuchte, in ihre Gummistiefel zu riechen.
    »... aber alle Füße sagen die Wahrheit. Sie können gar nicht anders.« Ali Bin Schick zuckte mit den Schultern und lächelte. »Also«, sagte er und deutete auf die Füße der Zwillinge. »Frei machen, säubern, abtrocknen und auf den Tigerrücken legen, bitte sehr.«
    Daka und Silvania zögerten. Sie hatten noch nie von Fußlesen gehört. Vielleicht war es in Transsilvanien einfach nicht so verbreitet wie in Deutschland. Obwohl dort sehr auf die Pflege und Bewahrung alter Traditionen und Künste geachtet wurde. Aber das Fußlesen – eine der ältesten Künste der Menschheit – schien in Transsilvanien in Vergessenheit geraten zu sein.
    Silvania streifte schließlich als Erste die schwarzen Halbstiefel ab und zog die langen roten Kniestrümpfe aus. Wenn man in Deutschland die Füße las, dann wollte sie sich auch die Füße lesen lassen. Sie wusch die Füße in dem lauwarmen Wasser. Es roch angenehm fruchtig. Dann trocknete sie die Füße ab und legte sie auf den Tigerrücken.
    Ali Bin Schick kniete sich von der anderen Seite vor den Tiger. Er näherte sich Silvanias Fuß, bis er beinahe mit der Nasenspitze die Fußsohle berührte. »Interessant. Höchst interessant«, murmelte er, während er Silvanias Fußsohlen begutachtete. »Außerordentlich interessant.«
    »Was sehen Sie?«, fragte Silvania.
    »Die Sache ist ganz klar: Du tendierst zum Spreizfuß.« Ali Bin Schick blickte triumphierend auf.
    »Was?« Silvania starrte auf ihre Füße.
    Daka hatte den Kopf schräg gelegt und musterte die Füße ihrer Schwester. Sie nickte kaum merklich.
    Silvania sah den Wahrsager enttäuscht an. »Mehr sehen Sie nicht?«
    Ali Bin Schick streckte den Bauch heraus. »Selbstverständlich sehe ich mehr. Ich wollte nur mit etwas Nettem zur Einstimmung beginnen. Also.« Ali Bin Schick spreizte die Finger und beschrieb einen Bogen um Silvanias Fuß. Er holte tief Luft und begann: »Du hast ein bewegtes Leben hinter dir und ein noch bewegteres Leben vor dir. Du bist schon viel herumgekommen. Allerdings nicht immer zu Fuß. Du bist oft geflogen, nicht wahr?«
    Silvania nickte langsam.
    Ali Bin Schick betrachtete sie einen Moment. Seine kleinen Augen funkelten geheimnisvoll. Dann fuhr er fort: »Du hast deine alte Heimat hinter dir gelassen, um eine neue zu finden. Es wird dir gelingen, aber nur, wenn du deine alte Heimat nicht vergisst. In allernächster Zukunft wartet eine schwere Prüfung auf dich. Dich erwarten schlaflose Nächte, beängstigende Kräfte und ...«, Ali Bin Schick sah Silvania mitleidig an, »ich fürchte, ich muss es sagen: tödliche Begierde.« Er beugte sich zu Silvanias rechtem Fuß und studierte ihn angestrengt. »Ich erkenne es anhand der Schicksalslinie nur undeutlich, aber alles wird offenbar durch ein Missgeschick ausgelöst. Was es genau ist, kann ich jedoch nicht sehen.«
    Silvania, die als Saikatotänzerin sehr gelenkig war, zog den rechten Fuß an sich heran
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