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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth
Autoren: Zeugin der Toten
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Mein Vater und mein Großvater waren
nicht die Helden, mit denen man gerne hausieren geht.«
    »Und Ihre Mutter?«
    Judith biss sich auf die Lippen. Sie wollte sich vor diesem Mann keine
Blöße geben. Ihre Gefühle gehörten ihr allein. Trotzdem musste sie blinzeln,
und das ärgerte sie. Winkler griff in die Innentasche seines Anzuges und holte
einen Reisepass heraus.
    »Wir haben Ihnen neue Papiere besorgt. Vielleicht wollen Sie Ihren
Geburtsnamen wieder tragen. Christina Sonnenberg. Hier.«
    Er hielt ihr den Ausweis entgegen. Judith warf einen flüchtigen Blick
darauf, bevor sie sich wieder auf den Verkehr konzentrierte. Christina
Sonnenberg. Sie lauschte dem Klang dieses Namens nach und wusste, er würde ihr
immer fremd bleiben.
    »Behalten Sie ihn. Ich hab's nicht so mit Namen. Am Ende vergesse ich ihn
noch und stehe da wie Karsten Michael Oliver Arschloch.«
    Winkler stieß ein trockenes Lachen aus. »Der wird schon noch. Das
operative Geschäft ist nicht seine Stärke. Da war sein Vater um Längen besser.«
    Judith schoss einen schnellen Blick auf Winkler ab. »Sein Vater?«
    »Kaiserley. Ich dachte, Sie wüssten das. Wenn nicht, dann vergessen Sie es
schnell wieder. Kaiserley war ein paar Tage in München. Ich glaube, die beiden
hatten eine Menge zu besprechen. «
    Es lag Judith auf der Zunge zu fragen, ob er zurück in Berlin war. Und
wenn ja, seit wann. Und warum er sich dann nicht bei ihr gemeldet hatte. Aber
Winkler war die falsche Adresse.
    Winkler steckte den Ausweis wieder ein.
    »Sie sind das Einwohnermeldeamt?«, fragte sie.
    »Ich tue nur, was ich kann.«
    Winkler war also der Mann, der Kaiserley all die Jahre geholfen hatte.
Der vielleicht der Einzige gewesen war, der ihm geglaubt hatte. Für einen
kurzen, wahnwitzigen Moment überlegte sie, wie das wäre, ihm ebenfalls zu
vertrauen.
    »Was würden Sie mit den Filmen tun, wenn ich sie Ihnen gebe?«
    »Wir hatten bisher nur manipuliertes Material zur Verfügung, das zuvor
durch viele Hände gegangen ist. Wir könnten abgleichen.«
    »Und Namen verschwinden lassen.«
    »In Fällen, in denen es nach Abwägung aller Eventualitäten ratsam schiene
- ja.«
    »Keine Chance.«
    »Das habe ich erwartet. Sie können mich da vorne rauslassen.«
    Er deutete auf ein blaues Schild mit der Aufschrift Hohenzollerndamm.
Judith bremste ab und bog in die Ausfahrt ein. Sie er reichte
eine große Kreuzung, die den Verkehr aus allen vier Richtungen, die
Autobahnzubringer und die S-Bahn zu bewältigen hatte. Winkler zeigte auf den
Bahnhof. »Da vorne, bitte.«
    »Auch kein
Auto, was?« Sie hielt an.
    Winkler
lächelte. »Ich habe noch etwas für Sie. Das soll ich Ihnen von Herrn Kaiserley
geben.«
    Er reichte
ihr ein kleines Päckchen. Judith behielt es in der Hand, öffnete es aber nicht.
    »Geht es
Ihnen um den Mann, der sich Weckerle nennt?«
    Winkler
sah aus dem Fenster und antwortete nicht. Judith drehte das Päckchen um. Es war
in ein einfaches DIN-A4-Papier eingeschlagen.
    »Ich weiß
nicht, wie das geht mit dem Verzeihen. Aber ich hatte das Gefühl, ihm liegt was
an seiner Frau. Vielleicht können Sie sie raushalten. Er ist ein Arsch. Aber
einer von denen, die dazu stehen. Und die sind mir schon fast wieder
sympathisch.«
    Winkler
nickte.
    »Ich will
das Grab.«
    Er drehte
sich zu ihr um und sah sie an. »Sie bekommen es. Ich verspreche es Ihnen.«
    Judith
griff in ihre Tasche, holte die Florena-Dosen hervor und gab sie ihm. Winkler
öffnete eine und machte sie sofort wieder zu.
    »Es gibt
einen verrückten Copyshop in der Silbersteinstraße«, sagte sie. »Die scannen,
digitalisieren, duplizieren ... Da war ich gestern. Wenn ich merke, dass Sie
wieder mal die Kleinen hängen und die Großen laufenlassen ...«
    »Keine
Sorge«, sagte Winkler schnell. Er betrachtete die Dosen immer noch mit einem
Blick, als könnte er nicht glauben, was er gerade in der Hand hielt. »Danke.«
    Er stieg
aus, überquerte die Brücke und verschwand im Bahnhof. Judith wickelte das
Päckchen aus. Es war ein MP3-Player. Sonst nichts. Sie wendete den Wagen und
ordnete sich hinter dem Kurfürstendamm Richtung Avus ein.
     
    Das erste
Lied, das sie hörte, war von Edith Piaf und hieß »Parlez-moi d'amour«.
    Sie
verließ die Avus an der nächsten Ausfahrt, wendete und fuhr die Stadtautobahn
hoch Richtung Prenzlauer Berg.
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