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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth
Autoren: Zeugin der Toten
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Klinik war.
Stattdessen leuchtete Evas Name auf dem Display auf. Kellermann runzelte die
Stirn. Ihr Handy war in Berlin. Sie selbst in München. Beides passte nicht
zusammen, und diesem verwirrenden Umstand hatte er bisher keine Aufmerksamkeit
geschenkt. Er drückte auf den Abspielknopf, aber er hörte nur zwei Sekunden
lang ein Rauschen, als ob jemand in einem Auto gesessen und die Verbindung zu
spät abgebrochen hatte.
    Er wählte ihre Nummer und wartete darauf, dass abgehoben wurde.
    Judith saß auf der Rückbank von Kaiserleys Wagen. Die Türen waren
geöffnet, ihre Füße berührten den Asphalt. Sie rauchte. Kaiserley hatte die
Innenlampe über dem Rückspiegel eingeschaltet und hielt den Anfang der
Filmrolle gegen das Licht.
    »Und?«, knurrte sie ungeduldig. Dombrowski wühlte im Kofferraum. »Ich
finde keinen Verbandskasten!«
    »Unter dem Ersatzreifen!«, gab Kaiserley zurück. Leiser fuhr er fort:
»Alles, was ich erkennen kann, sind Registraturkarten. Man muss sie in einem
Lesegerät ansehen. Aber ich schätze, die Filme sind echt.«
    Dombrowski begann, den Kofferraum zu entrümpeln. Dabei fluchte er zum
Gotterbarmen. Kaiserley warf Judith einen amüsierten Blick zu.
    »Netter Chef«, sagte er.
    Sie warf einen flüchtigen Blick nach hinten. »Ist er. Was machen wir
jetzt mit dem Zeug?«
    Kaiserley sah sie lange an. Er verstand, dass das »Wir« ein Geschenk war.
Eines, das er annehmen oder zurückweisen konnte.
    »Diese Frage werden uns eine Menge Leute stellen.«
    Judith nahm das »Uns« mit einem Nicken an.
    »Wo ist der Rest?« Kaiserley verstaute den Film in der Dose. »Wir müssen
sie der Birthler-Behörde übergeben.«
    »Wir müssen gar nichts.« Judith holte sich den Plural wieder zurück. »Das sind
meine Filme. Und was ich damit mache, entscheide ich.«
    »Du weißt doch gar nicht, wohin damit. In ein paar Stunden steht der
Verfassungsschutz vor deiner Tür. Der BND möchte auch gerne einen Blick darauf
werfen. Die Filme müssen in die richtigen Hände kommen.«
    Judith stand auf, trat die Zigarette aus und beugte sich über die offene
Beifahrertür zu Kaiserley.
    »Das sind die richtigen Hände.« Sie schnappte sich die Dose und steckte
sie zu den anderen. »Ich habe für sie bezahlt. Meine ganze beschissene Familie
hat dafür bezahlt.«
    Ein Handy klingelte. Irritiert sah sie zu Kaiserley, dann zu Dombrowski,
der gerade einen Monatslohn in Form von Plastikpfandflaschen zutage förderte.
Bis sie begriff, dass es aus ihrer Tasche kam.
    Sie holte es heraus und ging ein paar Schritte zur Seite.
    »Ja?«
    »Wer spricht da bitte?« Eine befehlsgewohnte, autoritäre Stimme. Judith
erkannte sie sofort. Das letzte Mal hatte sie sie in einer U-Bahn gehört.
Sofort hatte sie die kräftige Gestalt des Mannes vor Augen, der es gewagt
hatte, sie unter Druck zu setzen.
    »Herr Weckerle. Ich weiß, man soll keine Namen nennen. Aber in diesem Fall
und da das bestimmt nicht Ihr richtiger ist, mache ich gerne eine Ausnahme.«
    Stille. Dann, ungläubig: »Sie?«
    Judith ging noch ein paar Schritte weiter. »Können Sie mir sagen, wen Sie
gerade anrufen wollten?«
    »Zuerst will ich wissen, wie Sie an dieses Handy gekommen sind.«
    »Die Zeit, in der Sie mit Fragen an der Reihe waren, ist abgelaufen. «
    »Woher ...«
    »Haben Sie mich nicht verstanden?« Kaiserley wurde aufmerksam. Er sah zu
ihr hinüber und wäre wohl am liebsten aufgestanden und ihr hinterhergehumpelt.
»Wer, glauben Sie, hätte jetzt statt meiner abnehmen sollen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich kann Sie lügen hören, Weckerle. Und wissen Sie, warum? Weil ich aus
einem Inferno komme. Aus der Hölle. Weil ich ...« Sie brach ab, weil ihr
bewusst war, dass dies eine ungeschützte Leitung war. »Weil ich weiß, wer
dieses Handy zuletzt in der Hand hatte. Und ich rede nur noch deshalb mit
Ihnen, weil Sie jemand gewaltig in die Scheiße reiten wollte. Und das,
Weckerle, ist die einzige Gemeinsamkeit, die wir haben.«
    Der Mann am anderen Ende schwieg. Wahrscheinlich brauchte er einen Moment,
um zu begreifen, was sie ihm gerade gesagt hatte. Als er wieder sprach, klang
er wie jemand, dem eine Zentnerlast von der Seele gefallen war.
    »Wir können offen reden. Die Smartphones wurden schon vor Wochen
ausgetauscht.«
    »Aha.« Judith wusste nicht, was das bedeutete. Aber offenbar gab es
grünes Licht für diese Leitung.
    »Das Handy gehört meiner Frau«, fuhr er fort. »Sie liegt im Krankenhaus.
Sie soll einen Selbstmordversuch unternommen haben. In
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