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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth
Autoren: Zeugin der Toten
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ihrem Abschiedsbrief
steht, sie hätte jemanden getötet. «
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie sagen, wenn sie diese Nacht überlebt...«
    Weckerle, oder wer auch immer dieser Mann am anderen Ende der Leitung war,
brach ab.
    »Hören Sie. Das tut mir sehr leid mit Ihrer Frau. Ich weiß nicht, was sie
sonst so gemacht hat. Ob sie einer eurer Killer war oder so, aber mit der Sache
hier hat sie nichts zu tun.«
    »Sie ist kein Killer. Sie ist meine Frau.«
    »Na, vielleicht wird sie es dann noch«, erwiderte Judith. »Sind Sie befugt
zu verhandeln?«
    »Über was?«
    »Das wissen Sie ganz genau. Ich habe Forderungen.«
    »Welche?«
    »Sagt Ihnen der Name Gretchen Lindbergh was?«
    »Nein.«
    »Herr Kaiserley kannte sie unter dem Namen Angelina Espinoza. Sie ist tot.
Sie hat einen ehemaligen Generalleutnant der Stasi erschossen. Und wenn Sie das
für mich hinkriegen, dass sie sich anschließend selbst gerichtet hat, dann
würde ich dieses Handy vielleicht in die Spree werfen. Irgendwann. Wenn ich
sicher sein kann, dass wirklich Gras über die Sache gewachsen ist.«
    »Sie überschätzen meine Kompetenzen.«
    »Nein«, sagte Judith. »Ganz sicher nicht. Ich habe die Filme.«
    Weckerle schwieg. Vermutlich überschlug er gerade, was er Judith anbieten
konnte.
    »Ich will kein Geld. Ich will keinen Pass. Ich will keine Legende. Was
ich will, ist, dass ihr mich einfach in Ruhe lasst. Jetzt und für alle Zeiten.
Sie, Weckerle, sind ab jetzt mein Anwalt. Ich schütze Sie und Ihre Frau, wenn
Sie dafür meine Interessen vertreten. «
    »Ich weiß nicht, wie an übergeordneter Stelle über diese Sache ...«
    »Es ist mir egal, wie Sie das Übergeordnete unterordnen. Man wollte mich
umbringen, weil ihr Mist gebaut habt. Ich habe mich gewehrt. Wenn das
herauskommt, wird der Name meiner Familie in den Dreck gezogen. Und das will
ich nicht.«
    »Ich fürchte ...«
    »Weckerle? Fürchten Sie noch ein bisschen mehr. Entweder ihr tut für mich,
was ihr für jeden eurer beschissenen Agenten tut. Oder ich reiße euch den Arsch
auf. Ich werde den ganzen Fall Sassnitz noch einmal aufrollen. Ich werde alle
an die Wand stellen, die das vertuscht haben. Ich werde Gräber öffnen lassen,
weil sich in ihnen die Asche von zwei Verstorbenen statt einem befindet. Ich
werde die Transferzahlungen nach Malmö aus den schwarzen Kassen des BND dem
parlamentarischen Kontrollgremium melden und auf Plakatwänden die Namen all
derer veröffentlichen, die bis heute ihre Stasi-Vergangenheit nicht geoutet
haben. Ich werde euch rocken, verstanden?«
    Schweigen.
    »Verstanden?«, brüllte Judith.
    »Sie haben die Filme wirklich gefunden?«
    »Fuck you. Das habe ich.«
    Sie beendete das Gespräch und schaltete das Handy aus. Kaiserley stand
hinter ihr. Er hatte alles mitgehört. Er wollte etwas sagen, aber in diesem
Moment tauchte Dombrowski triumphierend mit einem Kasten in der Hand aus dem
Kofferraum auf.
    »Der Doktor bittet zur Visite«, rief er zu ihnen hinüber.
    »Ich geh dann mal«, sagte Judith.
    Und das tat sie. Den ganzen Weg zur Bushaltestelle hoffte sie noch, jemand
würde ihren Namen rufen. Als der Bus kam, stieg sie ein und warf keinen Blick
zurück.
    Alles, was ihm zu ihr eingefallen war, war ein Lied über Friedhöfe.
     
    Bevor Kellermann wieder ins Krankenhaus fuhr, rief er Kresnick an. Er
erreichte den Landesdirektor des Verfassungsschutzes auf einem Schweriner
Tennisplatz und redete genau zwei Minuten mit ihm.
    »Ausgeschlossen«, sagte Kresnick, als Kellermann geendet hatte.
    Kellermann hängte noch einmal dreißig Sekunden mit einer kurzen
Zusammenfassung der Alternativen an. Auch wenn er sich um eine kultiviertere
Ausdrucksweise bemühte als Judith, schien Kresnick unbeeindruckt.
    »Es ist trotzdem ausgeschlossen«, sagte Kresnick.
    »Kepler wird den Geheimdiensten dieses Landes unermesslichen Schaden ...«
    »Lassen Sie mich ausreden. Ihr Ansinnen ist absurd und indiskutabel. Aber
ich habe nicht gesagt unmöglich.«
     
    *
     
    Zwei Wochen später stand Judith vor Merzigs Haustür. Auf der Straße
wartete schon ein leerer Müllcontainer, der am Tag vorher angeliefert worden
war. Sie durchtrennte das Asservatensiegel und öffnete die Tür mit einem
Schlüssel, den sie vorher bei Nachbarn abgeholt hatte. Kai folgte ihr, das
Kaltnebelgerät auf die Schulter gewuchtet, und sah sich mit großen Augen um.
    »Krass«, sagte er, als sie an Merzigs Schlafzimmer vorbeikamen.
    Die Umrisse der toten Frau waren noch mit weißer Kreide auf dem
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