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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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groß war. Er folgte dem Mann, der bald sein Schwiegervater sein sollte, mit einem unguten Gefühl. Auch Annas Brüder verließen die Küche nun wortlos und sie spülte mit ihrer Mutter zusammen noch Schüssel und Löffel ab, dann setzten sie sich in der Küche bei schwachem Petroleumlicht an den Tisch und warteten ohne ein Wort auf die beiden Männer. Im ganzen Hof herrschte eine angespannte Atmosphäre und es war so still wie manchmal kurz vor einem Gewitter.
    In der guten Stube bot der alte Bader Daniel einen Stuhl an, nachdem er selbst an dem großen Tisch Platz genommen hatte. Nach einem tiefen Seufzer begann er mühsam das schwierige Gespräch.
    »Ein Leben geht so schnell vorbei, und bevor man sich umschaut, ist man schon alt und krank. Schau mich an. Meine Frau und ich hatten nicht viel vom Leben: sechs Kinder, die wir ständig satt bekommen mussten, viel Arbeit und nur wenig Zeit füreinander. Für Anna habe ich mir ein besseres Leben gewünscht, Daniel, denn sie ist etwas ganz Besonderes, nicht nur, weil sie meine einzige Tochter ist!« Erst nachdem er sich wieder etwas besser im Griff hatte, konnte er weitersprechen. »Was mich aber viel stärker beunruhigt, ist dein nächtliches Treiben im Wald. Verstehe mich nicht falsch, ich halte dich für einen anständigen Kerl, doch die Wilderei ist eine gefährliche Sache und schon manche junge Frau ist darüber zur Witwe geworden. Das Leid möchte ich nicht nur meiner Anna, sondern auch dem Kind, das sie von dir bekommt, ersparen.«
    Daniel hob den Kopf und blickte dem alten Mann selbst bewusst in die Augen. »Ich habe nie gewildert, weil ich mich bereichern wollte, sondern damit sich arme Menschen, die viel weniger haben als Ihr und ich, einmal satt essen oder zum Arzt gehen können.«
    Doch diese Antwort stellte Annas Vater nicht zufrieden. »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
    »Nein. Ich mag Anna viel zu gern, als dass ich mir keine Sorgen darüber machen würde, dass ich auch sie da mit hi neinziehen könnte. Und nicht nur sie, nachdem wir bald eine Familie sein werden. Meine Verantwortung ist so viel größer geworden, sogar ans Aufhören habe ich schon gedacht.«
    »Dann gib mir dein Wort darauf. Es muss ein für alle Mal ein Ende damit haben. Nur dann kann ich dir in Gottes Namen meine Tochter zur Frau geben.«
    Daniel nickte zögerlich, gab seinem Gegenüber dann aber doch den Handschlag, der sein Versprechen besiegelte. Da umarmte der alte Mann ihn aus ehrlichem Herzen, beide waren erleichtert über das Ergebnis dieser offenen Aussprache, hatten sie dadurch doch auch einen Weg zueinander gefunden. »Und kein Wort zu den Weiberleuten«, beendete Annas Vater augenzwinkernd ihre Aussprache, als er sich von der Eckbank erhob.
    Anna kam die Warterei wie eine Ewigkeit vor, doch da kam der Vater endlich mit Daniel zur Küchentür herein und nickte wohlwollend. »Meinen Segen sollt ihr haben.«
    Anna und die Mutter fingen beide vor Erleichterung zu weinen an. Der Vater holte einen selbst gebrannten Bir nenschnaps aus dem Küchenschrank und goss vier kleine Schnapsgläser voll. Die waren noch von seiner Mutter und wurden nur zu ganz besonderen Anlässen aus dem Schrank geholt. Daniel bekam von der alten Baderin wieder zwei Wolldecken, damit er auf dem Heuboden schlafen konnte. Dieses Mal schaute der Vater nicht mehr, ob alle Türen verriegelt waren, denn nun war ja passiert, was er eigentlich hatte verhindern wollen. Sie gingen bald zu Bett und Anna hatte leise im oberen Gang die Tür, die zur Tenne führte, aufgesperrt. Dass Daniel nicht in der Tenne geschlafen hatte, blieb der Mutter allerdings nicht verborgen, befand sich doch kein einziger getrockneter Grashalm auf den beiden schön zusammengelegten Wolldecken.
    Daniel verließ schon in aller Herrgottsfrühe das Haus, denn er hatte mit seinem Freund Henne eigentlich vereinbart, dass er das Pferd am späteren Sonntagabend zurückbringen würde, und nun war es doch Montag geworden. Nachdem er Pferd und Wagen abgeliefert hatte, stieg er eilig die Anhöhe über Tiefenberg hinauf. Die Sonne ging gerade über dem Iseler am Oberjoch auf und der morgendliche Tau perlte vom Gras auf seine neuen Haferlschuhe und die Sonntagshose.
    Plötzlich sprang erschreckt ein Reh aus dem Dickicht und an ihm vorbei. Mit dem Wildern musste es nun vorbei sein. Dieses Versprechen hatte er gestern Abend dem alten Bader gegeben – und er hatte vor, es auch zu halten. Versprechen wurden nicht gebrochen!
    Als er am elterlichen
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