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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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Annas Brüder spannten den Schimmel vor den Wagen, und Käse, Kleidung und noch vorhandene Lebensmittel wurden ins Dorf hinuntergefahren. Dann wurden die Kühe ins Tal getrieben und jeder Bauer bekam seine Tiere wieder in den Stall zurück. Anna erhielt den Lohn für drei Monate schwere Arbeit ausbezahlt.
    Am Sonntag nach der Kirche teilte sie ihren Eltern und Geschwistern mit, dass sie mit Daniel an diesem Nachmittag einen Besuch bei dessen Eltern machen würde. Bereits um elf Uhr fuhr Daniel mit seinem Einspänner vor. Nachdem das Pferd getränkt worden war und etwas Hafer und Stroh bekommen hatte, ging es nach der Breite, die hoch über Tiefenbach bei Sonthofen liegt. Anna staunte während der Fahrt, wie weit der Weg war, denn diese Strecke hatte ihr Daniel zum ersten Mal im Mai bei strömendem Regen zu Fuß und nur für sie zurückgelegt. Sie lehnte sich an seinen Oberarm und legte ihren Kopf gegen seine Schulter, während er die Halfter des Pferdes hielt. Manchmal konnte sie es noch immer nicht glauben, dass er zu ihr gehörte.
    Als sie oben ankamen, war der Nachmittag schon fortgeschritten und Daniels Mutter saß auf der Bank vor dem Haus und stopfte Socken. Seine Schwester strickte eine Mütze und der Vater saß in der Küche und las in einer alten Bibel. Er konnte nicht mehr so gut gehen und kam daher nicht jeden Sonntag in die Kirche. Deswegen hatte er es sich jeden Sonntag zur Angewohnheit gemacht, durch das Lesen in der Bibel seine eigene Zwiesprache mit Gott zu halten. Anna wurde von Daniels Schwester argwöhnisch betrachtet und auch die alte Gundlerin schaute kaum von ihrer Näharbeit auf. Nur Daniels Vater lächelte Anna freundlich an und bat sie, sich zu ihm an den Tisch zu setzen.
    Anna hatte viel übrig für jene Art des Glaubens, wie sie Daniels Vater praktizierte. Gott sei ihr auf der Alpe und in der freien Natur näher als in der Kirche, sagte sie später, als sie bei Zopf mit Butter und Marmelade zusammensaßen.
    »Wann kommt das Kind?«, fragte Daniels Mutter ohne jeden Zusammenhang.
    »Wer bekommt ein Kind?«, fragte daraufhin Daniels jüngerer Bruder, der gerade zur offen stehenden Küchentür h ereinkam.
    Anna wurde verlegen und ganz rot im Gesicht.
    »Wir werden Anfang Oktober heiraten und das Kind wird im März auf die Welt kommen«, beantwortete Daniel gleich beide Fragen auf einmal.
    »Ich werde Großvater«, freute sich Daniels Vater.
    »Eine, die nichts hat, nichts kann und nichts ist, hättest du nicht bringen brauchen – und von der Schönheit kann man auch nicht runterbeißen«, schimpfte Daniels Mutter. Sie stand ohne einen weiteren Kommentar mit ihrer Tochter auf und beide setzten sich wieder auf die Bank vor dem Haus und führten ihre Arbeiten fort.
    Mit einem schweren Stein auf der Brust und Tränen in den Augen verließ Anna mit Daniel das Anwesen der Gundlers. Ohne Daniels Mutter und Schwester noch eines weiteren Blickes zu würdigen und ohne Abschiedsgruß gingen sie zu Fuß nach Tiefenbach, wo Daniel sich bei seinem Freund Henne ein Pferd mit Wagen ausborgte. Dann traten sie bedrückt den Heimweg an.
    Lange sprachen sie kein Wort, denn in wenigen Stunden galt es, auch Annas Familie die Neuigkeit über das bevorstehende Ereignis mitzuteilen. Als sie gegen sieben Uhr abends den Bauernhof der Baders erreichten, war es im Stall bereits dunkel. Daniel spannte den alten Gaul aus und brachte ihn in den Stall. Anna brachte ihm Hafer, Stroh und Wasser, während Daniel das alte Pferd trocken rieb. Dann gingen sie in die Küche, wo Annas Brüder mit den Eltern bereits Milch und Brocken aus einer großen Schüssel aßen.
    »Kommt her, setzt euch dazu«, sagte Annas Vater kurz. Ihre Mutter hatte schon vorgesorgt, denn zwei Löffel lagen zusätzlich auf dem Tisch. Anna und Daniel setzten sich auf die Bank und die Brüder rutschten noch etwas zusammen, sodass sie alle Platz hatten. Als die Schüssel leer war, räusperte Daniel sich und eröffnete, dass er Anna so schnell wie möglich heiraten wolle, gleich im Oktober solle die Hochzeit sein. Die Stimmung war ziemlich gedrückt und die Mutter schaute Anna mit fragendem Blick an.
    »Ich bin schwanger und bekomme im März ein Kind«, flüsterte Anna mit dünner, leiser Stimme, dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    »Komm«, sagte der Vater zu Daniel und erhob sich mit dem jungen Burschen, der jedes Mal den Kopf einziehen musste, wenn er von einem zum anderen Zimmer ging, nicht, weil die Türen so niedrig, sondern weil er so
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