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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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zuverlässigen Mann gefunden hatten, der ihn bei ihrem großen Vorhaben ersetzen konnte. Keiner konnte von ihm verlangen, dass er vor dem Elend der Welt die Augen verschloss, nur weil er eine schöne junge Frau kennen- und lieben gelernt hatte und bald Vater sein würde. Nie konnte das Unglück von vielen aufgewogen werden durch das Glück eines Einzelnen!
    Zur zweiten Morgenstunde feuerte er auf einem Baum sitzend einen gezielten Schuss ab. Er trug das erlegte Reh ins Tal und verkaufte es bei einem Gastwirt, der sichtlich erstaunt und gleichzeitig erfreut war, Daniel nach längerer Pause wieder zu seinen Lieferanten zählen zu können. Nachdem sie sich schnell über den Preis geeinigt und mit einem selbst gebrannten doppelten Enzian auf die erneuerten Geschäftsbeziehungen angestoßen hatten, verschwand Daniel, so schnell er gekommen war.
    Zuerst wusch er sich am nächsten Bach den Ruß vom Gesicht. Zu Hause angekommen zog er sich am Brunnen vor dem Hof aus und sprang in das eiskalte Wasser. Er war von der körperlichen Anstrengung und von der Aufregung verschwitzt und das Bad bot eine willkommene Abkühlung. Er nahm die Kernseife, die immer in einer Schüssel neben dem Brunnen lag, und wusch sich. Plötzlich ging das Schlafzimmerfenster der Eltern auf und der Kopf seines Vaters schaute heraus. »Daniel, bist du das?« Da kam auch die Mutter zum Fenster und warf ein Handtuch auf die Stiege vor dem Hof.
    »Unser Daniel ist närrisch geworden, der Bub holt sich ja den Tod!«, bemerkte sein Vater.
    »So schnell stirbt man nicht«, hörte Daniel seine Mutter erwidern, die das Fenster wieder schloss, ohne den Sohn weiter zu beachten.
    Das Geld hatten Daniel und seine Freunde durch drei geteilt, und das letzte Drittel war dann wieder durch drei geteilt worden. Dies waren die privaten Anteile ihres gemeinsamen Unternehmens. Der Hauptanteil aller Beutezüge verblieb stets bei Henne, der ihn dann den zahllosen Bedürftigen zukommen ließ. Daniels Anteil lag sicher versteckt unter seiner Mat ratze. Er war für Annas ganz besonderes Hochzeitsgeschenk reserviert. Und jetzt wusste er auch, was er ihr schenken wollte: einen schönen silbernen Anhänger aus Granen. Er hatte bereits zwei Granen in einem Geheimversteck, doch der Juwelier wollte für die Kette und den Anhänger sicher mindestens sechs weitere. Für Daniel bedeutete das noch einige schlaflose Nächte vor der Hochzeit. Anna sollte von seiner verbotenen ›Armenpflege‹ nichts erfahren. Sorgen und Ängste waren für eine werdende Mutter und für das Kind nicht gut. Also musste alles schnell erledigt werden.
    Mit diesem Gedanken fiel Daniel in einen tiefen Schlaf. Als er am Morgen erwachte, war er überhaupt nicht müde, obwohl die Nacht sehr kurz gewesen war. Von seinem Vorhaben getrieben schlüpfte er in seine Stallkleidung. Die Tage vor der Hochzeit vergingen wie im Flug. Er war nun fast jede Nacht auf der Pirsch. Ab jetzt wusch er sich in einem nahe gelegenen Tobelbach, wo er ein Stück Seife und ein Handtuch im Geäst eines Baumes versteckt hatte. Seine Eltern und Geschwister bekamen so von dem nächtlichen Treiben nichts mit.
    Gewöhnlich wurde dort geheiratet, wo das junge Paar dann auch zusammen leben würde, doch Anna hatte ihren eigenen Kopf. Auf ihren Wunsch hin wurde die Hochzeit in der Pfarrkirche von Fischen gefeiert. Anna hatte im Gegensatz zu ihrem Mann eine große Verwandtschaft und sie wollte ihrer Familie den beschwerlichen, weiten Weg auf die Breite nicht zumuten. Außerdem spürte sie genau die Ablehnung ihrer zukünftigen Schwiegermutter – doch das Fest würde sie sich nicht verderben lassen, es sollte unvergesslich schön werden.
    Ihre Tanten und Cousinen kochten und buken nun schon tagelang und sollten dafür auch mit kurzen Wegen zur Kirche belohnt werden. Nach der Trauung würden die weiteren Feierlichkeiten unter freiem Himmel vor Annas Elternhaus in Bolsterlang stattfinden. Wenn das Wetter mitmachte. Im Moment sah es nicht so aus: Sintflutartiger Regen stürzte vom Himmel.
    »Hoffentlich musst du in deiner Ehe nicht so viele Tränen weinen, wie heute Regentropfen vom Himmel fallen«, meinte die Mutter ängstlich zu Anna, denn noch immer beschlich sie beim Gedanken an die Heirat ihrer Tochter mit dem jungen Daniel ein ungutes Gefühl. Sie konnte ihren Mann nicht verstehen, dass er zu dieser Hochzeit so schnell seine Zu stimmung gegeben hatte. War er doch sonst immer so besonnen und gab nichts auf das Gerede im Dorf. Der ganze Ort tratschte
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