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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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Telefonzelle in der Budapester Straße gleich um die Ecke. Zu jeder Tages- und Nachtzeit musste man sich dort in die Schlange der Wartenden einreihen, und wenn man selbst einmal ein etwas längeres Gespräch führte, wurde von draußen die Tür aufgerissen und jemand bölkte » Nu is mal gut, langsam « ins Innere. Manuela störte das nicht. Mit der Verfügbarkeit des Komforts wich für sie auch sein Reiz.
    Er hatte ihr geholfen, bei allem. Beim Wechsel des Studienplatzes, als sie merkte, dass es die Lateinamerikawissenschaften bald nicht mehr geben würde. Ein ganzes Institut wurde » abgewickelt « , als wäre die Treuhand auch für den Hochschulbereich zuständig. Er hatte ihr BWL schmackhaft gemacht, ihr beim Lernen für die Klausuren geholfen. Sie waren sich nähergekommen. Er war charmant, er war klug, er war ein leidlicher Liebhaber. Sie hatte sich darauf eingelassen. Er war ein Kumpel, ein Freund vielleicht. Aber er war nicht der Mann, den sie liebte. Das wusste sie jetzt.
    Sie musterte ihn von der Seite und musste lächeln. Er lebte seine Vorliebe für fliederfarbene Zweireiher hemmungslos aus. Dazu eine sehr weit geschnittene, sehr ausgewaschene Jeans. Die Achtziger waren wohl endgültig vorbei.
    » Halt an « , sagte Manuela. » Ich möchte ein Stück gehen. «
    » Ich suche uns nur schnell ein lauschiges Plätzchen « , antwortete er. Er fuhr die Parkstraße entlang und bog oben an der weit geschwungenen Linkskurve rechts ab, vorbei am NDR-Gebäude, in den Barnstorfer Wald. Sie passierten die Johanniskirche, er fuhr weiter Richtung Zoo, parkte dann in der Nähe des Eingangs. Dort stiegen sie aus.
    Nachdem sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren, lehnte sich Manuela an einen Baum.
    » Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte « , sagte sie und blickte ihn an.
    » Was aushalten? «
    » Das … alles « , antwortete sie unschlüssig.
    » Du musst mir schon genauer sagen, worum es geht, Schätzchen. «
    » Nenn mich nicht Schätzchen « , sagte Manuela matt. » Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Entwicklung mittragen möchte, die das hier alles nimmt « , sagte sie nach einer Pause.
    » Ich verstehe dich nicht. Wir sind doch diejenigen, die diese Entwicklung bestimmen können. Wir haben jetzt die Chance, etwas zu machen. Das Geld liegt auf der Straße. « Er knöpfte sein Jackett auf und stemmte die Arme in die Seiten.
    » Das ist es ja. Genau darum geht es mir eben gerade nicht. « Manuela lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum.
    » Mädchen, die Zukunft ist die … «
    » … ist die Ökonomie, ich weiß. Genau das ist es, was mir Angst macht. «
    » Was willst du denn? « Er wirkte jetzt sehr ungeduldig. » Dann geh doch in die Politik. Deine Bündnis-90-Leute reißen sich ja förmlich um dich. «
    » Ich weiß, dass du die nicht magst. Aber ich weiß, dass sie für die richtige Sache kämpfen. «
    » Hör auf mit deiner Klassenkampfrhetorik, das ist vorbei. « Er trat mit dem Fuß nach ein paar hohen Gräsern. » Langhaarige Weltverbesserer sind das. Und jetzt lassen sie sich auch noch von den Grünen aufkaufen. Die bekommen auf absehbare Zeit keinen Fuß mehr in den Bundestag. «
    » Diese Weltverbesserer haben die Wende gemacht, von der gerade sehr viele Leute profitieren. Besonders du. «
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung. » Die haben sich die Wende vielleicht ausgedacht. Gemacht haben sie andere. Das waren die Käufer, und die wollen jetzt auch bedient werden. Sei doch nicht so weltfremd. «
    » Ja, vielleicht sollte ich die Welt kennenlernen « , sagte Manuela.
    » Wie meinst du das? «
    Manuela dachte an ihr BWL-Studium, das ihr keine Freude mehr machte. Sie wollte die Welt nicht nach Zahlen ordnen, wie er das tat. Vielleicht war auch er selbst das Problem. Mit seiner hemdsärmeligen Art teilte er die Welt in Schwarz und Weiß, und sein Erfolg gab ihm Recht, immerzu nur Recht. Oder war sie einfach zu naiv? Ging es um wirklich nichts anderes mehr als um kaufen und verkaufen? Abstand. Ich brauche Abstand, dachte sie.
    » Ich gehe nach Amerika « , sagte sie.
    Er sah sie anerkennend an. » Das ist deine beste Idee seit langem. « Er ging ein paar Schritte auf und ab, fuhr mit den Füßen durch das alte Laub auf dem Boden.
    » Ich könnte mich um eine Postgraduiertenstelle bewerben. In ein, zwei Monaten habe ich meine Dissertation fertig. Leute von ostdeutschen Unis nehmen die gerade mit Kusshand. Spätestens Ende des Jahres sind wir in Übersee. «
    Manuela
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