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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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die Felsbegrenzung. Panisch blickte er sich um, doch er konnte nichts erkennen. Stattdessen raschelte und schrie es aus allen Winkeln der Tropenhalle. Er durfte jetzt nicht durchdrehen!
    »Herr Simon«, hörte er seinen Namen rufen, »ich sagte eben, dass das Leben ein großer Witz sei. Wissen Sie, was mich amüsiert? Die Waffe hier hat tatsächlich nur einen Schuss. Viel Vergnügen mit dem Silberrücken. Ich habe ihn noch nicht entdeckt, aber er ganz sicher Sie. So, genug geplaudert. Ich muss jetzt wieder zu den beiden Damen. Vielleicht sehen Sie sich ja noch.«
    Ängstlich schaute sich Gregor um, versuchte sich zu orientieren. Mit zusammengebissenen Zähnen presste er seinen Rücken an die sichere Wand, mit der er wie eine Gallionsfigur verschmolz. Dann lauschte er. Die ganze Halle war voll von Geräuschen, überall gackerte und schrie es. Vögel, Echsen, Affen erzeugten einen dichten Klangteppich, einzig in seinem Käfig herrschte unheimliche Ruhe. Er hörte seine Zähne klappern. Was würde dieser Koloss, der hier zu Hause war, mit ihm anstellen? King Kong. Die Bilder des Hollywoodstreifens kamen ihm in den Sinn, eine zum Monster mutierte Affenkreatur, die Menschen wie Zweige brach, bevor sie die ungelenken Körper gegen Häuserwände warf, mit einer Leichtigkeit, als wären es Stoffpuppen. Selbst wenn er sich hätte rühren wollen, er hätte es nicht gekonnt. Seine Beine glichen weichen Bockwürsten mit Schuhen, die dieses schwarze Monster bald zermalmen würde wie Bambusblätter, als Ergänzungsnahrung zu seiner vegetarischen Kost. Gregor dachte an Madeleine. Wusste sie eigentlich, wie sehr er sie liebte? Hatte er es zuletzt noch gewusst? Jetzt brach dieses Gefühl in ihm aus. Es schmerzte, brannte. Nun war es zu spät, er würde diesen Abend nicht überleben. Diese Urgewalt im Verborgenen, der Inbegriff eines Alphatiers, würde ihn zerquetschen. Ein Knacken. Unmittelbar vor ihm. Gregor hielt den Atem an. Das Herrentier kam. Rücksichtslos schob es die Zweige auseinander. Eine schwarze Gestalt wippte auf ihn zu, erstaunlich klein, aber kompakt wie ein Bär. Mit der Bewegung eines humpelnden alten Mannes watschelte der Gorilla auf ihn zu, stoppte und beobachtete. Gregor stand wie angewurzelt, leicht vorn übergebeugt, ein Junge in Erwartung einer Tracht Prügel. Obgleich er instinktiv versuchte, das Tier nicht direkt anzuschauen, erkannte er den mächtigen Schädel, der wie ein Berg auf die breiten Schultern gesetzt war. Die Arme waren kräftig wie Elefantenbeine, wirkten aber wie Fremdkörper, stelzenartig setzte der Gorilla sie voreinander. Alles in allem sah es beinahe so aus, als käme da ein muskelbepackter Großvater schnaufend auf Gregor zu. Dann passierte es. Seitlich trat das Tier die letzten Meter an ihn heran, blieb neben ihm stehen, indem es sich auf einen Arm stützte. Konnte man dazu noch Arm sagen? Gregors Spannung verharrte im Unerträglichen, er atmete nicht, es zerriss ihn förmlich. Der Gorilla roch an dem Eindringling, er berührte Gregors Kopf, kratzte mit einem Finger an seinen Haaren. Neugierig zupfte er an seiner Jacke, musterte ihn ausführlich. Fast schien er nachzudenken, was er mit ihm anstellen sollte, wo genau er drücken müsste, damit etwas passierte. Eine Weile saß er vor ihm, mit seinem schwarzen, dichten Fell und seinem düsteren, aggressiv anmutenden Gesicht, das gleichzeitig Erhabenheit und Stolz ausstrahlte, was Gregor allerdings nicht wahrnahm. Viel zu sehr war er damit beschäftigt, sich nicht zu rühren, mit aller Kraft anzuarbeiten gegen das Verlangen zu schreien. Schweißtropfen liefen sein Gesicht herab, brannten in den Augen, flossen an seinen Schläfen und Wangenknochen die Nase, den Mund entlang. Fielen ab und trafen auf seinen Hals. Gleichzeitig verströmte der Affe einen Geruch, den Gregor keine Sekunde länger ertragen zu können glaubte. Sein Inneres glühte, zerrte, riss an ihm. Er wollte fliehen, doch wohin? Es war sinnlos.
    Dann geschah das Unglaubliche. Nach einer gefühlten Ewigkeit verlor der Gorilla das Interesse und watschelte ebenso gemächlich von dannen, wie er gekommen war. Die Zweige bogen auseinander und weg war er. Ein Schnauben, noch eines, dann herrschte Stille im Gehege. Die übrigen Tiere in der Halle hatten ihr Rumoren nicht unterbrochen, hatten unentwegt gezetert und geschrien, die unmöglichsten Laute von sich gegeben. Gregor nahm dies alles erst jetzt wieder wahr. Noch wagte er nicht zu hoffen, dass diese Begegnung alles gewesen sein
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