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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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sollte, dass er wirklich in Frieden gelassen wurde von dieser Urgewalt. Sicher würden sich die Zweige gleich nochmals auseinanderbiegen, viel schneller und heftiger als zuvor, ein Schnauben würde ertönen, dann ein Trampeln und wie ein Nashorn würde das Ungetüm auf ihn zurennen, ihn wie einen Steckbrief gegen die Wand rammen. Doch nichts geschah. Vorsichtig tastete sich Gregor einen Schritt zur Seite, verharrte wieder einen Moment, ein nächster Schritt, wieder Erstarren. Fest mit einem Angriff rechnend, aber immerhin wieder in der Lage, einen Gedanken zu fassen, wollte er versuchen, jenen hohlen Betonbaumstamm zu erreichen, durch den die Affen, und vielleicht auch er, ins Freigehege gelangen konnten. Eventuell könnte er dort auf sich aufmerksam machen, um Hilfe rufen. Mechanisch setzte er seine Beine voreinander. Auf Zehenspitzen, als würde er frühmorgens über knarrende Dielen schleichen, erreichte er die Öffnung. Ein paar Stufen führten hinauf. Langsam, noch immer jedes überflüssige Geräusch vermeidend, kletterte Gregor hoch und blickte in einen mannshohen Tunnel. Er schaute in ein Nichts, ein schwarzes Loch. Was, wenn die Tür verschlossen war und er wieder umkehren musste? Unmöglich konnte er die Nacht vor dem Ausgang hocken bleiben, warten, bis der Gorilla seinen Morgenspaziergang begann. Würde er gegebenenfalls umkehren können? Er spürte, wie das Blut in seinem Hals pumpte, wie es mit dumpfen Schlägen gegen seinen Schädel hämmerte. Der Durchgang konnte kaum länger als zwanzig Meter sein, doch als er ihn betrat, war es wie der Sprung in einen tiefen Brunnen. Alle übrigen Geräusche hörte er mit einem Mal gedämmter, dafür erklangen seine eigenen Bewegungen umso deutlicher. Immer wenn er in gebeugter Haltung einen Fuß vor den anderen setzte, schien es ihm unerträglich laut. Gregor rückte langsam vor, bis er den Ausgang zu erkennen glaubte. Unwillkürlich blickte er sich um, ob der schwarze Muskelberg die Verfolgung aufgenommen hatte, doch er konnte nichts erkennen. Seine Schritte wurden schneller, hallten wider, wie in einer S-Bahn-Unterführung. Noch wenige Meter. Nach wie vor konnte er den Affen nicht sehen, dafür aber vor sich Sträucher. Nun erkannte er Bäume, Wasser. Der Ausgang war unverschlossen, noch zwei Schritte, dann hatte er es geschafft. Die frische Luft, der Sauerstoff explodierte förmlich in seinem Körper. Im Vergleich zum Gehege und zur Enge des Durchgangs kam ihm das Gelände unendlich weit vor. Erleichterung breitete sich aus, doch er erkannte schnell, dass er sich längst nicht außer Gefahr, sondern noch immer im Revier des größten lebenden Primaten befand. Hörte er etwas in seinem Rücken? Vor ihm war ein Gewässer. Konnten Gorillas schwimmen? Wahrscheinlich nicht, denn das gegenüberliegende Ufer war flach genug, um es ohne Mühe erklimmen zu können. Gregor rannte ins Wasser, seine Füße griffen ins Nichts, sodass er vornüber stürzte und der Länge nach ins herbstlich kühle Nass fiel. Dann kraulte er, mit sechs, sieben Schlägen erreichte er die andere Seite des Grabens. Dort ließ er sich auf den Weg fallen, blieb mit dem Gesicht im Schmutz keuchend liegen. Gregor fror, triefend nass, doch er rührte sich nicht eher, als dass er ein Scheinwerferpaar erblickte, welches sich langsam dem  Darwineum  näherte.
    »Hilfe!«, krächzte er. Und noch einmal: »Hilfe!« Mit den Armen versuchte er sich nach oben zu drücken, kam nur schleppend hoch, stolperte vorwärts, mühsam, erschöpft wie ein Verdurstender, der sich mit letzter Kraft Richtung rettender Oase schleppt. Durch die Bewegung kam wieder Leben in seine Glieder. Er lief zur Rotunde, war nur noch einen Steinwurf von dem Auto entfernt, als dieses zum Stehen kam. Durch die Karosserie bullerten ihm gedämpfte Geräusche lauter Gitarrenmusik entgegen. »Behnke und Schwarz«, seufzte er zu sich, »diese Idioten!«, stieß er noch hervor, als er über eine Stufe stolperte, die er in der Dunkelheit übersehen hatte, und erneut der Länge nach hinschlug – just als das Gewummer verstummte und sich die Fahrertür öffnete.
    »Hört das denn nie auf?«, entfuhr es Gregor, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden krümmte.
    »He, Sie da, Gesicht auf den Boden und Hände auf den Rücken, aber zackig!«, brüllte einer der beiden.
    »Wie bitte?«, rief Gregor, »Das ist ein Irrtum.«
    »Ich irre mich nie! Hände auf den Rücken!« Gregor hörte ein Geräusch, das er mit dem Entsichern einer Pistole in
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