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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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wären sie ein aufgepeitschter Indianerstamm, der einen nicht willkommenen Eindringling akustisch das Fürchten lehrt, um ihn gleich darauf dem Flammentod am Marterpfahl zu übergeben. Unfähig zu einem klaren Gedanken schritt Gregor voran.
    »Herr Simon, Sie steigen dort jetzt hinunter. Es tut mir leid, aber mir bleibt nichts anderes übrig. Sie hätten sich besser aus der ganzen Geschichte herausgehalten.« Obgleich er ihn gerade dem Henker übergeben wollte, hatte Kramer seine Höflichkeit wieder zurückgewonnen.
    »Wie bitte?«, brachte Gregor mit Mühe hervor.
    »Sie haben mich ganz sicher verstanden!«, entgegnete der Professor, freundlich-bestimmt, als rede er nun mit einem seiner Studenten.
    Das Gorillagehege lag auf einer etwa vier Meter tieferen Ebene. Weder ein Wassergraben noch ein Zaun, sondern nur dieser Höhenunterschied trennten Besucher vom Areal des Silberrückens. Ungläubig schaute Gregor über die Brüstung und flehend zu Kramer.
    »Also bitte! Jetzt!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hob der die Waffe an und legte auch noch seine linke Hand unter den Griff. Das Gesicht des Akademikers hatte etwas Mildes, als würde er Gregor nicht mit einer Kugel bedrohen, sondern mit einer Öllampe nachts den Weg leuchten.
    »Muss das sein? Ich bitte Sie!«
    »Aber ja, aber ja.« Fast euphorisch feuerte Kramer ihn an. Er schien mittlerweile ganz angetan von seiner Idee. »Seien Sie unbesorgt, die anderen beiden, werden Ihnen gleich folgen. Sie sterben nicht allein. Es tut mir leid, manchmal ist das Schicksal ungerecht. Aber sehen Sie die Sache positiv. Wie alt sind Sie? Vierzig? Ein labiler Typ wie Sie wäre noch im 18. oder 19. Jahrhundert niemals so alt geworden. Sie wären wahrscheinlich schon als Kind an Schwindsucht oder an Keuchhusten verstorben. Also seien Sie dankbar über das, was Ihnen geschenkt wurde. Ach übrigens, wie geht es der Familie, den Kleinen? Hat Ihnen mein Freund kürzlich im Stadthafen einen Schrecken eingejagt? Er hat erzählt, Sie wären ganz blass geworden. Das war natürlich nur ein kleiner Scherz. Wir vergreifen uns doch nicht an Minderjährigen.« Gregor schnürte es die Kehle zu. Er glaubte sich nicht rühren zu können. »So, genug geplaudert.« Kramer blickte sich zu allen Seiten um, die Pistole auf Gregors Gesicht gerichtet. »Vielleicht werden Sie mit dem Primaten da sogar fertig. Wer weiß?« Gregor suchte den Gorilla, doch es war schwierig sich dort unten zu orientieren. Stockfinster war es, nur schemenhaft erahnte er Baumstämme, Pflanzen und Kletterfelsen.
    »Professor, das ist doch nicht Ihr Ernst, ich bitte Sie!« Gregors Stimme klang brüchig.
    »Herr Simon, das Leben ist doch ohnehin schon so ein großer Witz, warum sollte ich denn auch noch scherzen. Ich zähle jetzt bis drei. Entweder Sie springen da runter, nutzen Ihre Chance und ringen mit dem 200-Kilo-Pflanzenfresser oder ich drücke sofort ab. Eins …«
    »Ist gut. Ist gut. Nicht schießen. Ich gehe.«
    Mit einem Bein bestieg Gregor die Mauer, auf die er sich bäuchlings legte wie auf ein zu großes, fremdes Pferd. Als er das andere Bein nachzog, zitterte er so gewaltig, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. Nun lag er mit dem Oberkörper über der Mauer.
    »Los, los, nicht so zaghaft!«, spornte ihn der Professor an. Mit dem Finger am Abzug hielt Kramer die Pistole auf Gregors Kopf gerichtet, der nun mit aufgestützten Unterarmen wie ein Schwimmer am Beckenrand hing. Der übrige Teil seines Körpers baumelte frei im Zwinger. Gregor strampelte verzweifelt, obgleich ihm bewusst war, dass er die Ruhe bewahren musste. Noch konnte er sich nicht durchringen loszulassen, hineinzufallen in die Dunkelheit wie in ein Haigewässer. Dann sah er, wie sein Widersacher sich über ihn beugte, mit der linken Hand einen Schuss andeutete. Dann schlug er mit dem Pistolenlauf einmal kräftig auf Gregors Kopf, der aufschrie und nach hinten fiel. Der Aufprall war heftig. Seine Füße fingen wenig vom Sturz ab. Stattdessen landete er auf Steißbein und Rücken. Regungslos blieb er liegen, ihm gelang es kaum Luft zu holen. Er hatte für Sekunden das Bewusstsein verloren. Nun wachte er auf und wusste einen Augenblick nicht, wo er war. Alles um ihn herum war finster, sein Steiß schmerzte entsetzlich, aber sein Atem normalisierte sich langsam und für einen Moment spürte er so etwas wie Ruhe. Vogelgeschrei brachte ihn schlagartig zurück. Sofort begann alles in ihm zu toben. Er sprang auf und presste sich mit dem Rücken an
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