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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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machte und sich mit dem Kopf langsam ihrem Nacken näherte. »Doch jetzt stehen wir im Finale unseres Schachturniers. Wir sind auf demselben Brett, liebe Evelyn, nur noch du und ich. Doch ich habe noch diesen kleinen Bauern hier im Rennen.« Er presste den Lauf der Pistole an ihren Hals. Sie zuckte zusammen, als sie das kalte Eisen spürte. Ihr Herz raste. Auf ihrer Stirn schimmerten im Schein des Quallenkreisels feine Schweißperlen. Sie fühlte, wie ihr die Selbstkontrolle entglitt und ihr Körper zitterte.
    »Worauf wartest du dann noch?« So groß ihre Angst auch war, sie würde sie Kramer gegenüber nicht offen zeigen, wie viel Kraft sie das auch immer kostete.
    »Ach, ich mag nicht so viel Publikum«, entgegnete er mit gespielter Bescheidenheit. »Sieh mal, Evelyn, du und deine Affen haben Gäste da draußen, die wir nicht verschrecken wollen.« Mit einem Nicken wies er zur Rückseite des Aquariums, durch das hindurch sich in Blau getauchte Schemen des Besucherraumes erahnen ließen.
    »Wir wollen mit dem Aufräumen doch warten, bis alle gegangen sind.« Mit einer kurzen Drehung warf er einen Blick auf seine elegante Armbanduhr. »Wir haben noch eine gute halbe Stunde. Dann wird niemand mehr hier sein. Zeit genug, uns noch einmal daran zu erinnern, wie du unser beider Leben zerstört hast.« Sein zwischenzeitlicher Plauderton war wieder dem Hass gewichen, doch schien er sich sogleich zur Ordnung zu rufen.
    »Du musst verstehen, mir ist damals diese dumme Sache mit dieser kleinen Studentin passiert«, sagte er und stieß einen Seufzer aus. »Ich hatte eine glänzende Karriere vor mir. Rostock sollte nur Zwischenstation sein. Ich hatte Angebote aus Frankfurt, Hamburg, Wien. Allerdings mochte ich die Stadt und ich stand zu meinem Fehler und blieb. Ich wollte ein Auge darauf haben, dass hier keiner Unfug anrichtet.« Er begann wieder, Runden zu drehen.
    »Dumme Sache? Du bist ja krank!« stieß Evelyn aus.
    »Krank?« Er lachte. »Nein. Krank wäre es gewesen, sich wie ein Schuljunge zu stellen und zu beichten, dass man die Fensterscheibe kaputtgemacht hat.«
    »Du hast jemanden ermordet und im Wald vergraben!«, rief sie mit aller Verachtung, die sie für ihn empfand.
    »Bah, bah, bah, wer wird denn da so laut werden? Was hätte ich denn machen sollen? Dasitzen und warten, dass man mich einbuchtet?« Er strich sich mit der Hand über seinen Scheitel. »Mein Leben in einer Zelle verbringen? Vergiss es! Ich weiß, die meisten Menschen mögen das. Hocken den lieben langen Tag in mickrigen Büros und starren auf Computer, genauso wie sie abends auf ihre Fernseher glotzen, die mittlerweile so flach geworden sind wie ihre Schädel. Die Leute tun doch nichts anderes mehr, als anderen beim Leben zuzusehen. Mir genügte das nicht.« Er machte eine Pause. »Es ist wie beim Fußball.« Seine Stimme hob sich, als wäre ihm endlich ein entfallener Name eingefallen. »Ich wollte nie Zuschauer sein, keiner der 30 000, die Eintritt bezahlen, um anderen beim Spielen zuzugucken. Und  auch keiner dieser Idioten, die ihre besten Jahre damit verbringen, dem Ball hinterherzujagen. Ich wollte einer sein, der rennen lässt, der zuschaut und kassiert. Menschen sind dumm und primitiv. Im Grunde unterscheiden sie sich nur durch ihre Körperbehaarung von deinen Freunden in den Gehegen da drüben.« Mit diesen Worten setzte er sich wieder auf seinen Stuhl.
    »Ja, aber so ganz hat es mit deinem  Rennenlassen  wohl doch nicht funktioniert«, warf Evelyn höhnisch ein.
    Er sprang auf. »Weil du es nicht kapiert hast«, fauchte er sie an, beruhigte sich aber gleich wieder. Auf seinem Gesicht zeichneten sich Sorgenfalten ab. »Ich gebe zu«, sagte er nachdenklich, »auch ich habe meine Schwächen. Ich mag keine Überraschungen. Unvorhersehbares kann mich in Rage bringen. Als ich hörte, dass das  Darwineum  geplant wird, machte mich das zunächst wütend, weil ihr ausgerechnet dieses verdammte Stück Wald bebauen wolltet, das ich zu hüten hatte. Aber als ich eine Weile nachgedacht hatte, zeichnete sich eine Lösung ab. Wie immer, wenn man seinen Kopf zum Denken nutzt.« Er machte eine selbstgefällige Geste und nahm wieder Platz, während Evelyn müde ins Leere guckte.
    »Möchtest du Applaus? Dazu müsste ich aber meine Arme herunternehmen.« Kramer runzelte die Stirn und warf wieder einen Blick auf die Uhr.
    »Nein, nein, die lass mal schön oben, eine Viertelstunde schaffst du noch.«
    »Mach, was du willst, ich werde dich weder
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