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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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Brummen der Lüftungsanlage zu einem unerträglichen Lärm. Kramers Hand legte sich um ihre Kehle, er stand vor ihr, als wollte er eine Schraube in sie hineinbohren, unentschlossen abzudrücken, weil er noch nicht die richtige Position gefunden hatte oder noch Publikum auf der anderen Seite des Quallenbeckens fürchtete. Evelyns Mund war weit geöffnet, doch schrie sie nicht. Sie erwartete den Schmerz und betete, dass es schnell gehen möge. Plötzlich fuhr er herum, ein Schlüssel ging, gefolgt von einem lang gezogenen Ächzen der schweren Metalltür. Eine Gestalt schob sich ins Dunkle, vergeblich im Versuch leise zu sein. Gleich darauf folgte ein zweiter Schatten. Wie eine steinerne Skulptur hielt Kramer Evelyns Hals im Griff, die Pistole an ihrem Kopf.
    »Eine falsche Bewegung und ich drücke ab.«
    »Nein! Nicht!« Jeanette konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken.
    Kramer richtet sich auf, ließ von der Gurgel ab und ging einen Schritt nach hinten, noch immer die Pistole auf Evelyn gerichtet, die sich mit angsterfüllten Augen und erhobenen Armen auf dem Stuhl reckte.
    »Beide auf den Fußboden legen, sofort!«, schrie Kramer mit überschlagender Stimme.
    »Du auch!« Er trat hinter Evelyn und stieß ihr mit dem Fuß in den Rücken. Sie spürte den Stoß, dachte, sich selbst im Fallen beobachten zu können. Als sie auf den Boden krachte, fühlte sie keinen Schmerz. Wie benommen lag sie auf dem kalten Stein, sie sah die Holzlehne neben sich und beobachtete regungslos, wie Blut, das aus einer Schürfwunde an ihrem Unterarm heraustrat, sich zu einer kleinen Lache bildete. Ohne jede Regung, widerstandslos wie eine Ertrinkende, blickte sie ihrem Ende entgegen.

    Das Blut in Gregors Körper raste wie ein ungebremster Schnellzug durch einen Tunnel. Er hatte Panik, war zugleich auch wütend, auf sich, auf Jeanette, seine und ihre Unvorsichtigkeit. Warum hatten sie nicht einfach Hilfe geholt, es war nicht ihr Job, irgendjemanden als Heldenduo zu retten. Sein Herz zog sich wieder zusammen, als er an seine Familie dachte. Er durfte sie nicht allein lassen. Alles tobte und raste in ihm, schrie »Was? Wann? Wie?«
    Jeanette dagegen schien einen kühlen Kopf zu bewahren: »Professor Kramer, was haben Sie vor? Denken Sie bitte an die Konsequenzen, an das Unglück, in das Sie sich und alle anderen stürzen«, sagte sie, als spräche sie zu einem Mann, der gerade aus dem Fenster springen will, nicht wie jemand, der eine Waffe auf sie richtet.
    »Wir bleiben jetzt alle ganz ruhig und überlegen erst mal!«, keuchte Kramer, wohl mehr zu sich selbst als zu den anderen.
    »Lassen Sie uns gehen, Professor. Es wird alles gut!« Während Jeanette das sagte, drehte sie vorsichtig ihren Kopf in Gregors Richtung, sodass sie beide Blickkontakt hatten.
    »Halten Sie den Mund!«
    Gregor sah im Augenwinkel Kramers Beine nervös auf der Stelle treten.
    »Seien Sie sofort still! Ich muss nachdenken. Noch ein
Wort …«, herrschte er sie drohend an.
    Jeanettes Gesicht lag auf der Seite. Ihr Mund formte Worte, die Gregor nicht enträtseln konnte. So sehr er sich mühte, es wollte ihm nicht gelingen. Ungeduld funkelte aus ihren Augen. Dann kam Kramer zu ihr, stieß sie mit dem Fuß an.
    »Taschen leeren und Telefon hier herüberschieben. Aber bleiben Sie liegen.« Umständlich folgte sie seiner Aufforderung, ihn dabei unverhohlen musternd.
    »Wie viel Schuss haben Sie in ihrer alten Büchse, Professor?«, fragte sie provozierend. Gregor hielt den Atem an.
    »Es reicht nicht, um uns alle drei zu erledigen, nicht wahr?«
    »Seien Sie ruhig, sonst widme ich die Kugel Ihnen!«, fauchte er.
    »Also habe ich Recht!«, flüsterte sie zu Gregor.
    Doch ehe der reagieren konnte, trat Kramer zu ihm herüber.
    »Simon, stehen Sie auf! Die anderen beiden bleiben liegen!«
    Das fingerdicke Metallrohr bohrte sich in Gregors Rücken.
    »Öffnen Sie die Tür und gehen Sie langsam nach links. Die anderen beiden: Liegenbleiben! Es liegt in Ihrer Hand, ob ich abdrücke. Sobald ich sehe, dass die Tür geöffnet wird, schieße ich.« Mit diesen Worten schob Kramer Gregor in den Gang zur Tropenhalle, in der mittlerweile nur noch Nachtbeleuchtung brannte. Alles um Gregor verschwamm. Wie ein Erstklässler, der sich vor einer übermächtigen Lehrerkommission für ein Vergehen verantworten muss, stieg in ihm das Verlangen zu weinen hoch, obwohl er dagegen mit aller Gewalt ankämpfte. Die schwülwarme Tropenhalle empfing sie mit Geschrei. Affen und Vögel lärmten, als
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