Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
Vom Netzwerk:
bewundern, noch um Gnade betteln, lieber sterbe ich.«
    »Evelyn, nun sei doch nicht so destruktiv, das ist doch gar nicht deine Art. Ich erinnere mich, wie du damals zu mir kamst, mit den Plänen für das  Darwineum . Ich gebe zu, dass ich dich am liebsten auf der Stelle zertreten hätte. Aber ich wusste, dass ich Zeit hatte, mich dem Kampf zu stellen.« Er strich schmunzelnd sein Sakko glatt. »Das hat Spaß gemacht. Zur selben Zeit hatte ich in der Werft zu tun, die vor der Insolvenz stand. Es gibt Berufe, die immer profitieren, ganz gleich, ob Krise oder Boom«, sagte er zufrieden. »Da waren diese ganzen erbärmlichen Gestalten, die jammerten, weil man ihnen ihre Arbeit wegnehmen wollte. Ich hätte auch irgendeinen anderen als Henning Schwarck auswählen können, aber ich kannte ihn aus dem Segelverein. Zunächst habe ich ihn in meiner Immobilienfirma engagiert und ihm später geholfen, die Sicherheitsfirma zu gründen. Leute, denen man in ausweglosen Situationen die Hand reicht, bleiben ewig dankbar. Und wenn sie mal Probleme haben, kommen sie immer wieder zu dir. Nach der Wende war der ganze Osten voll von ihnen: Stasileute, Mitarbeiter aus der Verwaltung, NVA-Offiziere, SED-Funktionäre, Geisteswissenschaftler, Arbeiter; die Liste war unendlich lang. Sie alle standen vor dem Nichts. Da brauchte nur einer zu kommen, ihnen einen Weg zu zeigen, ein bisschen Geld zu geben und es dauerte Jahre, bis sie kapierten, dass sie nichts geschenkt bekommen, sondern sich verkauft hatten. Und die meisten kapierten das nie.« Kramers Augen glühten vor Begeisterung. »Wie auch immer, ich baute Einfluss auf. Mit meiner Immobilienfirma konnte ich nebenher nicht nur Geld verdienen, sondern kam in Kontakt mit Leuten wie Landgräfe, Mitarbeitern vom Finanzamt, Politikern, die früher oder später dankbar waren, für ein hübsches günstiges Häuschen. Solche Typen merken in ihrer Eitelkeit und Gier gar nicht, wenn sie Grenzen überschreiten. Sie wähnen sich immer im Recht und meinen immer, alles unter Kontrolle zu haben.« Er hielt für einen Moment inne. »Irgendwann brachte dann das Glück des Tüchtigen den Beratungsauftrag für den Zoo zu mir. Mit Schwarcks Hilfe habe ich Widerstände geschürt, Zäune eintreten lassen und ihn gleichzeitig als Security platziert. Ich habe vermittelt und geschlichtet, Kompromisse errungen.«
    Obwohl Kramer im schummrigen Licht kaum etwas erkennen konnte, kontrollierte er routinemäßig seine Fingernägel. »Und irgendwie haben mir alle dabei geholfen. Du, Landgräfe, Finanzbeamte, Abgeordnete, alle taten, was ich ihnen geraten hatte. Diese viel beschäftigten Herrschaften, weil sie selbst nicht nachdenken und sich nur treiben lassen, wie dieses rückgratlose Getier da drüben.« Versonnen sah er zu den Quallen, die sich mit kurzen Stößen im ewigen Strudel vertikal kreisend fortbewegten.
    »Du bist so toll!«, warf Evelyn Hammer höhnisch ein.
    »Und du bist gleich tot.« Kramer kontrollierte den Lauf seiner Waffe.
    »Du bist froh, dass du das mal jemandem erzählen kannst, nicht wahr?«, sagte Evelyn in mitleidigem Ton. »Es muss deprimierend sein, seine  ganze Arbeit  über so viele Jahre verstecken zu müssen. Niemand, mit dem man seine armseligen Erfolge teilen kann, so viele heimtückische Siege, die nicht gesehen werden dürfen. Oh Gott, du bist ja noch viel ärmer dran, als ich dachte. Egal, ob du dich, mich oder uns umbringst, du bist wie eine Assel, die sich unter einem Stein versteckt.« Ein fast mütterliches Lachen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Obwohl es dunkel war, konnte sie ahnen, wie seine Augen unruhig umhertickten, Halt suchten, wie es in ihm arbeitete und brodelte vor Hass. Mit einer kurzen schnellen Bewegung schlug er ihr plötzlich die Pistole ins Gesicht, dass ihr Kopf zur Seite flog, dann bohrte er ihr den Lauf in die Wange. Evelyn entfuhr ein Schrei, Blut quoll aus einer Wunde, lief ihr das Kinn entlang. Sie stöhnte kurz auf, dann riss sie sich zusammen. Keine Angst, keine Schmerzen zeigen. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht geben.
    »Rede gefälligst nicht so mit mir, du, du …« Sein Gesicht näherte sich dem ihren, verharrte wenige Zentimeter vor ihrem Ohr, während er den harten Lauf nun an ihre Schläfe presste. Schwer atmend, mit verzerrtem Mund und weit aufgerissenen Nasenlöchern rang er nach Worten. Evelyns Kopf dröhnte. War es das jetzt? Ihre Gedanken rasten, vermischten sich mit seinem Atem, den sie am Hals wie einen Eisblock spürte, und dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher