Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
Vom Netzwerk:
entgegen.
    »Gibt es die auch in grün?«
    Alexanders Gesicht versteinerte. Gleich sträubt sich auch noch das Zickenbärtchen, dachte Gregor.
    »Wenn du spanischen Plastik-Salat haben willst: Nebenan ist ein Supermarkt.« Er rückte bedrohlich nah an Gregor heran. Der hielt sich schützend die beiden weichen Kugeln vor die Brust. »Unser Gemüse kommt nicht vom Reißbrett. Das hat noch Licht, Luft und Sonne erlebt.«
    Glückliches Gemüse also, wollte es Gregor entfahren. Da klingelte sein Mobiltelefon. Alexander wandte sich angewidert ab und umfing liebevoll eine Palette Biohonig. Gregor ließ die beiden Salatköpfe in die Auslage plumpsen. So muss es sich anhören, wenn ein lebloser Körper zu Boden geht, dachte er und fischte das Telefon aus seiner Umhängetasche. Das Gerät hatte inzwischen ein beachtliches Elektrobeatgewitter entfaltet. Vor einem halben Jahr noch hatte Gregor diesen selbst eingespeisten Klingelton originell gefunden. Jetzt war er ihm peinlich. Allerdings hätte er für ein neues Geräusch erst wieder die Bedienungsanleitung studieren müssen. Und dafür war er zu faul.
    »Wo bleibst du.« Das war keine Frage. Jürgen musste wieder mal furchtbare Laune haben.
    »Ich bin sozusagen vor der Tür«, sagte Gregor und sah auf die Uhr. Halb elf. Um zehn hätte er in der Redaktion sein sollen.
    »Welche Tür auch immer«, sagte Jürgen. »Brauchst nicht mehr herzukommen. Beweg deinen Hintern in den Zoo. Pressekonferenz um elf. Da ist etwas passiert.«
    Gregor verstaute das Telefon wieder. Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln pflegte Jürgen nicht. Überhaupt war er im Umgang eher wortkarg. Andererseits war er berüchtigt für seine ausschweifenden Texte, für die er sich gern extra Platz einräumte. Als Redaktionsleiter hatte er die Macht dazu. Aber allzu oft schrieb er nicht mehr. Das erledigen Kollegen wie ich, dachte Gregor und seufzte. Feste freie Mitarbeiter. Fest genug, um stets dorthin geschubst zu werden, wo es brennt. Frei genug, um immer mal außen vor gelassen zu werden. Und am Ende heißt es: »Die  Rostocker Allgemeine Zeitung  hat mal wieder was aufgedeckt.« Und wer war es? Ich, Gregor Simon, Journalist.
    In den Gängen des Frischemarktes drückten sich mittelalte Frauen in Wallekleidern herum, lange Einkaufslisten in den Händen, mit suchendem Blick und weltfremdem Lächeln. Ihr Essen heute Abend würde garantiert außergewöhnlich werden. Gregor verließ das Geschäft, ohne etwas gekauft zu haben. Draußen schloss er sein Fahrrad auf. Eine knappe halbe Stunde bis zum Zoo. Das könnte eng werden.
    Fahrradfahren in Rostock. Theoretisch war die Stadt gut ausgestattet mit Radwegen. Rein rechnerisch alles in Ordnung. Die harte Realität der Radler sah anders aus. Da musste man aufpassen, dass man auf mancher Holperstrecke keine Gehirnerschütterung bekam. Noch gemeiner: Der nur durch eine Strichellinie von der Autospur abgetrennte Streifen für Radfahrer. Zu Anfang waren diese Bereiche mit roter Farbe gekennzeichnet. Die Färbung hatte sich mittlerweile verloren. Der Name war geblieben: Blutspur.
    »Bin ich hier Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse oder was!?«, brüllte Gregor einem silbernen Kleinwagen hinterher, der soeben blinkerlos abgebogen war und Gregor dabei zur Vollbremsung gezwungen hatte. Doch das Auto entfernte sich genauso lahm wie ungerührt. Seine junge Fahrerin hatte vermutlich gar nicht bemerkt, dass sie soeben fast den ausgeblichenen Radstreifen mit frischem Rot versorgt hätte. Vermutlich war sie mit  Charlene  und  Virginia  beschäftigt gewesen, deren Anwesenheit  an Bord  zwei Aufkleber am Heck verkündeten.
    »Mach doch mal einen Podcast dazu«, rief eine Stimme. Gregor drehte sich zur Seite. Direkt neben ihm stand Bernd vom Internetportal  Ostsee-Today  mit seinem alten VW-Bulli. »Auch zum Zoo?«, fragte er. »Hinten ist ein Fahrradträger. Schnall deinen Drahtesel fest, ich nehm dich mit.«
    »Wie läuft’s?«, fragte Bernd aufgeräumt. Gregor hatte sich auf den Beifahrersitz fallen lassen und hielt mit der linken Hand den Gurt fest, damit es so aussah, als sei er angeschnallt. Die Vorrichtung zum Einrasten war kaputt. »Bei mir alles super«, verkündete Bernd, ohne eine Antwort abzuwarten. »Heute schon zwei Unfälle. Aber so richtige Kracher, sag ich dir.« Er hörte den Polizeifunk ab und war daher stets rechtzeitig zur Stelle, wenn es in Rostock irgendwo ein Unglück gab. Bernd schien in seinem Bulli zu übernachten, weshalb er oft sogar früher als die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher