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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier
Autoren: Michael Joseph
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Hygiene entschied er sich für das Kinn. Er reckte es vor, versuchte, den Klingelknopf seiner eigenen Wohnung zu erreichen. Als der Summer summte, drückte er die Tür mit dem ganzen Körper auf. Oben wartete Madeleine. Die Arme verschränkt, einen Fuß vorgestellt, die Miene ernst. Dieser Körperhaltung würde unweigerlich ein Streit folgen, der den ganzen Abend und vermutlich auch noch den kommenden Morgen dauern würde. Er versuchte es trotzdem mit guter Laune. Die Arme überladen mit Bioprodukten in einer langsam aufreißenden Papiertüte drängte er an ihr vorbei in die Wohnung. Auf dem Flur verlor er nacheinander die Vollkornnudeln, das eingeschweißte Pesto-Focaccio, den Soja-Hirtenkäse und die handgepflückte Feldsalatmischung. Auf dem Küchenfußboden landete der Rest.
    Madeleine stand im Türrahmen und beobachtete, wie er seinen üppigen Einkauf wieder aufsammelte.
    »Du wolltest kochen heute Abend«, sagte sie.
    »Ich koche, deshalb hab ich ja eingekauft.« Gregor deponierte den Büffelmozzarella im Kühlschrank. »Wo sind die Kinder?«
    »Gregor, es ist halb zehn. Die Kinder sind im Bett. Du kannst gern noch etwas kochen, aber bitte nur für eine Person. Wir haben schon gegessen.«
    »Tut mir leid«, sagte er und versuchte Madeleine in den Arm zu nehmen. Sie entwand sich ihm wie eben die Papiertüte. Gregor fühlte ungestümen Ärger in sich aufsteigen. Aber Madeleine hatte ja Recht. Er war zu spät gekommen, er hatte ihren gemeinsamen Abend vermasselt.
    Gregor ging zu ihr ins Wohnzimmer. Im Fernsehen lief eine amerikanische Serie mit einem Rechtsmediziner in der Hauptrolle. Er setzte sich neben sie auf das Sofa und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas. Als er das  Bio -Zeichen auf dem Etikett der Flasche sah, unterdrückte er einen Fluch, denn der Wein schmeckte, als sei er mit Zitronensaft veredelt worden. So etwas würde er nicht einmal mehr zum Kochen benutzen. »Edler Tropfen«, sagte Gregor mit gekräuselten Lippen. Madeleine reagierte nicht.
    Er legte den Arm um sie.
    »Entschuldige, ich hab Stress gehabt heute. Der Chef war unausstehlich. Und dann diese Sache im Zoo, das hat alles Zeit gekostet. Großer Beitrag, Videopodcast einrichten. Dann dauert es eben etwas länger, das weiß man vorher nie.«
    »Die tote Affenfrau? Davon hab ich im Radio gehört, das ist ja furchtbar.« Gregor bemerkte erfreut, dass Madeleines Widerstand nachließ.
    Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    »Und dann noch das Baby«, seufzte er.
    »Welches Baby?«, fragte Madeleine.
    »Das Affenbaby. Die tote Äffin war Mutter, drei Monate ist das Kleine gerade alt.«
    »Oh nein, das wusste ich nicht.«
    »Ich hab es gesehen. Es ist noch ganz klein.« Mit den Händen deutete Gregor ein Wesen an, nicht größer als ein Dinkelbrot.
    »Es heißt Anna.«
    Ein Mädchen. Seit der Geburt ihrer Töchter hatte Madeleine ein inniges Verhältnis zu jeglicher Form von Nachwuchs. Nun sprang sie auf, schaltete den Fernseher aus und ging ein paar wütende Schritte im Wohnzimmer auf und ab. Jetzt hab ich übertrieben, dachte Gregor resigniert.
    »Diese Bestien. Diese Unmenschen!«
    »Bis jetzt wird davon ausgegangen, dass es nur ein Täter war«, sagte Gregor.
    »Ich meine die Bestien, die andere Lebewesen fangen, um sie in Käfige zu sperren, vorzuführen und auch noch Geld dafür zu nehmen«, fauchte Madeleine. Vor Jahren hatte auch sie zu den  Darwineum -Gegnern gehört und an einigen Demonstrationen teilgenommen. »Alles Verbrecher.«
    Gregor dachte an die Zoodirektorin. Und an ihre Assistentin.
    »Ich finde nicht, dass das Unmenschen sind. Die machen auch nur ihren Job.«
    Madeleine baute sich vor ihm auf und sah ihn an. Böse und sexy. Wenn Madeleine sauer war, sah sie besonders schön aus. Je unnahbarer, desto hübscher. Man kann nicht alles haben, dachte er und sank ins Polster.
    »Du meinst, die tun nur ihre Pflicht? Mit dieser Mentalität sind schon Kriege geführt worden. Und im Krieg Mensch gegen Tier ist der Zoo das Gefangenenlager.«
    Gregor stand auf. »Du übertreibst.«
    »Ich übertreibe? Da werden jeden Tag Tausende unschuldiger Leben aufs Spiel gesetzt. Meinst du, den Tieren geht es gut in der Gefangenschaft?«
    »Zumindest hab ich schon von Tieren gehört, die freiwillig in ihre Käfige zurückgekehrt sind.«
    »Ist doch klar. Weil sie in eine völlig artfremde Umgebung geraten sind. Das ist, als ob du die Tür aufmachst und du stehst mitten auf einer achtspurigen Autobahn.
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