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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Webb
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    14. Mai 1911
    Liebste Amelia,
    einen herrlichen Frühlingsmorgen haben wir an diesem überaus aufregenden Tag. Das neue Dienstmädchen kommt heute – Cat Morley. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig nervös bin, denn immerhin eilt ihr ein gewisser Ruf voraus, doch sie kann nicht durch und durch schlecht sein, dessen bin ich gewiss. Albert war ganz und gar nicht sicher, ob man sie anstellen sollte, aber es ist mir gelungen, ihn mittels zweier Argumente zu überzeugen, nämlich: dass es ein löblicher Akt christlicher Nächstenliebe wäre, wenn wir sie nehmen, da sie gewiss niemand sonst einstellen wird; und dass sie ihres schlechten Leumunds wegen nur einen geringen Lohn erwarten kann und somit eine hauswirtschaftlich sinnvolle Aufwendung wäre. Wir verdoppeln damit unser Hauspersonal, haben jedoch kaum mehr Ausgaben! Ich habe eine Art Empfehlungsschreiben aus der Broughton Street erhalten – von der Hausdame, Mrs. Heddingly – mit einer Liste der Tätigkeiten, die dem Mädchen bereits vertraut sind. Weiter legt sie mir darin dringend nahe, ihr »dem Allgemeinwohl zuliebe« das Lesen nicht zu gestatten. Ich weiß nicht recht, was sie damit meint, halte es jedoch grundsätzlich für klug, Ratschläge von Eingeweihten zu befolgen. Mrs. Heddingly berichtet mir zudem von einem merkwürdigen Gerücht über das Mädchen. Es ist mir ein Rätsel, weshalb sie es überhaupt erwähnt, und ich kann dahinter nur eine gewisse Freude an Klatsch und Tratsch vermuten: Offenbar gibt die Identität von Cats Vater Anlass zu allerhand Spekulationen, und da ihr Teint und das Haar so dunkel seien, habe man schon flüstern hören, er könnte ein Neger gewesen sein. Nachdem sich diese Geschichte herumgesprochen hatte, nannte das restliche Personal in der Broughton Street sie wohl nur noch »Black Cat«. Nun, ich bin sicher, dass die Mutter des Mädchens, so einfach ihre Verhältnisse auch gewesen sein mögen, nicht so tief gesunken sein kann, es sei denn, sie wäre Opfer eines abscheulichen Verbrechens geworden. Und dass ihre arme Tochter einen derart mit Unglück behafteten Spitznamen tragen soll, erscheint mir nicht recht. Schwarze Katze, nein wirklich – ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie fortan nicht mehr so genannt wird.
    Trotz leichter Nervosität muss ich gestehen, dass ich mich auch auf ihre Ankunft freue. Nicht zuletzt wegen der Wollmäuse unter den Betten, die inzwischen beinahe so groß wie Äpfel sind! Es ist Monate her, dass die gute Mrs. Bell sich tief genug bücken konnte, um dort Ordnung zu schaffen. Das ganze Haus muss einmal gründlich in Ordnung gebracht werden. Doch es wird mir auch eine Freude sein, mich einem von Gottes Geschöpfen anzunehmen, das in die Irre geleitet wurde und beinahe dem Verderben anheimgefallen wäre. Hier wird sie ein gottgefälliges Zuhause finden, Vergebung und die Chance, sich durch harte Arbeit und ein anständiges Leben dem Herrn anzubefehlen. In diesem Bestreben soll sie von mir jeglichen Beistand erfahren, ja, ich werde sie unter meine Fittiche nehmen, sie wird mein Projekt – stell Dir nur vor! Welch eine Gelegenheit, einen Menschen wahrhaft zu läutern und auf den rechten Weg zurückzuführen. Gewiss wird sie sich glücklich schätzen – sie erhält eine wunderbare Chance, sich reinzuwaschen. Befleckt kommt sie zu uns, doch schon bald wird sie in frisch poliertem Glanz erstrahlen.
    Und solch ein Unternehmen ist sicherlich die beste Vorbereitung auf die Mutterschaft. Denn worin sonst bestünde die Aufgabe einer Mutter, als darin, ihre Kinder zu gottesfürchtigen, achtbaren und tugendhaften Menschen heranzuziehen? Ich sehe ja, wie gut Du Deine Sache mit meiner Nichte und meinem Neffen machst, der lieben Ellie und dem kleinen John, und ich bewundere Deine sanfte Art, sie anzuleiten. Beunruhige Dich nicht weiter wegen John und seiner Steinschleuder. Gewiss wird er bald aus dieser gewalttätigen Phase herauswachsen: Das Wesen eines Jungen ist – nach Gottes Willen – nun einmal kriegerischer als das eines Mädchens. Da steht es nur zu erwarten, dass er Triebe verspürt, die Du und ich nicht verstehen können. Wie sehr ich mich darauf freue, selbst kleine Seelen zu hegen und reifen zu lassen.
    Amelia, bitte verzeih, dass ich Dich noch einmal darum bitte, aber leider hat Dein letzter Brief mich weiter im Dunkeln gelassen, was das fragliche Thema angeht. Musst Du denn gar so vage sein, meine Liebe? Ich weiß, dass es sich über solche Dinge nicht leicht spricht und man das
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